Insert name here: The Artist
Klar: Mit Filmen und Serien kennen wir uns aus. Und doch haben Kartoffeln manchmal Löcher, Sitzkartoffeln also auch: Wissenslücken. Wer kennt schon jeden Klassiker? Wir jedenfalls nicht. Wollen wir aber. Also rufen wir uns gegenseitig die Titel von Meisterwerken der Filmgeschichte zu, die das Gegenüber noch nie gesehen hat. Und nun gucken muss – und darüber schreiben (natürlich ohne Google).
Kirsten rief: The Artist.
Markus’ erster Gedanke: Meine Nachbarn denken vermutlich, es ist was passiert. Ich bin zu Hause, aber man hört weder Musik noch Filmgeräusche…
Okay, ich habe mich geirrt: Erstens hat dieser Film natürlich Musik. Und zweitens ist er nicht langweilig (wie befürchtet), sondern toll. Und nebenbei gar kein reiner Stummfilm. Eher ein fast stummer Film über das Ende des Stummfilms. Kommt noch jemand mit?
Ich wusste vorab nur, dass “The Artist” einen Oscar bekommen hat (für einen französischen Film eine große Sache) und dass die Titelrolle von Jean Dujardin gespielt wird, der nicht nur wirklich so heißt, sondern mir aus der James-Bond-Parodie “OSS 117 – Der Spion, der sich liebte” bekannt ist. (Eigentlich ist das gar keine Bond-Parodie, eher sein Vorbild, aber das würde zu weit führen…) Der Mann kann was, hat Mimik und Gestik im Griff und nutzt beides gerne mal überdeutlich, weshalb ich mir einen Stummfilm mit ihm durchaus vorstellen konnte. Ebenfalls vorstellen kann ich ihn mir übrigens als Freddie Mercury, eine Rolle, die ihm im Netz nach wie vor in Aussicht gestellt wird. Auch dazu passen ja große Gesten.
Dujardin (wirklich ein unfassbarer Name) spielt in “The Artist” einen erfolgreichen Hollywood-Schauspieler der Stummfilm-Ära. Inszeniert ist das Ganze tatsächlich ohne Ton und Farbe, auch die Kameraarbeit und die Zwischentitel sind eine liebevolle Hommage an die Frühzeit des Kinos. Der Ruhm des titelgebenden Stars verblasst zusehends, als eine von ihm entdeckte Nachwuchsdarstellerin ihm den Rang abläuft und die Bilder, die längst laufen gelernt haben, plötzlich zu sprechen anfangen. Davon hören wir übrigens (zunächst) mal nichts, es wird quasi behauptet – nicht vergessen, das hier ist (zunächst) ein Stummfilm.
Es gibt eine sehr beeindruckende Alptraum-Sequenz, in der der Protagonist plötzlich die Geräusche seiner Umwelt wahrnimmt und wir sie ebenfalls hören. Als ob seine Welt normalerweise tatsächlich stumm wäre, erschreckt ihn das sehr, ehe er aufwacht. Ohnehin wird der Themenkomplex “Schweigen/Geräusch” permanent thematisiert – bereits ganz am Anfang, als wir den aktuellen Film des Schauspielers gezeigt bekommen, weigert sein Charakter sich in einem stillen Dialog, zu sprechen. Und sein treuer Begleiter, ein kleiner Hund, erinnert sicher nicht von ungefähr an seinen Artgenossen im Logo “His Master’s Voice” – wenngleich er hier die Stimme seines Herrn nie zu hören bekommt.
Was mir aufgefallen ist: Ohne Ton, ohne tatsächliche Dialoge ist man gezwungen, sich noch mehr auf das Gezeigte zu konzentrieren. Umso besser, dass die Akteure allesamt sehr übertrieben, also fast theatralisch agieren – eben wie in jener Ära, in der der Film spielt. Zu den weiteren Schauspielern gehören übrigens drei Gäste aus Hollywood: der von mir verehrte John Goodman (den meisten sicher bekannt aus “Roseanne”), Macolm McDowell (bekannt aus vielen Filmen, ich nenne trotzdem mal “Star Trek – Generations”) und James Cromwell (bekannt aus vielen Filmen, ich nenne trotzdem mal “Star Trek – First Contact”). Der Letztgenannte spielt den treuen Butler des scheiternden Stars, der letztlich mithilft, dass sich – soviel sei verraten – die dramatische Handlung zum Guten wendet.
Denn die einstige Nachwuchsschauspielerin hat sich in ihren früheren Gönner verliebt und holt ihn – unterstützt von Hund und Butler – buchstäblich ins Leben zurück. Und zwar in das seinerzeit moderne Leben. Sprich: Er soll künftig in seinen Filmen reden. Am Ende sehen wir die beiden bei Dreharbeiten tanzen, und das Erste (fast sogar das Letzte), was wir von ihnen hören, ist ihr schwerer Atmen.
Das ist ganz ehrlich großes Kino. Ich kann mir vorstellen, dass ein derartiges cineastisches Experiment auf der Leinwand noch beeindruckender wirkt. (Am besten allerdings ohne Nachos – stimmt’s, Kirsten?) Ich bin froh, diesen Film gesehen zu haben. Er ist mit Herz und Hirn gemacht, und zwar von Menschen, die das Kino so lieben wie ich. Darauf einen Dujardin! (Ernsthaft – heißt der wirklich so?)