Insert Name Here: Nomadland
Klar: Mit Filmen und Serien kennen wir uns aus. Und doch haben Kartoffeln manchmal Löcher, Sitzkartoffeln also auch: Wissenslücken. Wer kennt schon jeden Klassiker? Wir jedenfalls nicht. Wollen wir aber. Also rufen wir uns gegenseitig die Titel von Meisterwerken der Filmgeschichte zu, die das Gegenüber noch nie gesehen hat. Und nun gucken muss – und darüber schreiben (natürlich ohne Google).
Kirsten rief: Nomadland.
Markus‘ erster Gedanke: Will ich schon lange gucken.
„Freedom is just another word for nothing left to lose.“ Dieser Songtext von Kris Kristofferson kam mir immer wieder in den Sinn, als ich mir „Nomadland“ angeschaut habe. Man kann ihn von zwei Seiten interpretieren: Ist das, was manche Freiheit nennen, für andere einfach Armut? Oder ist es positiv, buchstäblich nichts mehr zu verlieren zu haben? Darüber wären sich der Obdachlose an der Ecke und Marie Kondō vermutlich nicht einig.
Aber kommen wir zum Film. Vorab wusste ich über ihn, dass Frances McDormand die Hauptrolle spielt, er mindestens zwei Oscars bekommen hat und Kirsten ziemlich begeistert war, nachdem sie ihn im Kino gesehen hatte. Das sind gleich drei ganz gute Omen, tatsächlich wollte ich „Nomadland“ auch aus diesen Gründen schon immer mal sehen. Er erzählt die Geschichte der Witwe Fern (die man hoffentlich so schreibt, ich darf ja nicht googeln), die in einem Van durch den Norden der Vereinigten Staaten zieht.
Sie ist allein, hat keinen Job mehr und eben auch kein Zuhause. Zumindest kein anderes als ihr selbst renoviertes Wohnmobil. Beide – Auto und Fahrerin – haben schon bessere Tage gesehen, halten aber tapfer durch. Fern hält sich mit allerlei Jobs über Wasser, lernt andere Wanderarbeiter kennen, die wie sie dem Geld hinterfahren und ein bisschen auch dem Glück.
Immer wieder verabschieden sich Menschen aus Ferns Leben, die sie ein Stück begleitet haben. Dann sehen wir, wie ihre Vans langsam Richtung Horizont verschwinden. Mir ging ziemlich an die Nieren, dass wir es eben nicht mit einer Science-Fiction-Story zu tun haben oder mit einem historischen Drama aus der Pionierzeit, sondern dass „Nomadland“ die aktuelle Realität im Land der begrenzten Unmöglichkeiten behandelt. Und die zeigt Regisseurin Chloé Zhao einerseits relativ schonungslos, in entsättigten Farben und fast dokumentarischen Bildern, mit teils sicher improvisierten Dialogen und einer bewusst langsamen Erzählweise. Andererseits sehen wir manch malerischen Sonnenauf- und -untergang, hören Willie Nelsons „On The Road Again“ und das Knistern gemütlicher Lagerfeuer. Ein bisschen wirkte das auf mich, als habe man Bruce Springsteens „Nebraska“-Album als Film umgesetzt.
Ebenfalls immer wieder bekommt Fern die Gelegenheit, sesshaft zu werden. Ein Freund – gespielt von David Strathaim, den ich fast nicht erkannt hätte – lädt sie ein, sich seiner Familie anzuschließen. Ihre Schwester will ihr helfen. Aber Fern hat sich längst an das Leben auf der Landstraße gewöhnt. Sie ist eine Getriebene, auch eine Suchende, sie ist eine Nomadin geworden und damit längst angekommen. Am Ende sehen wir auch ihren Van verschwinden und ziehen uns als Beobachter ihres Schicksals zurück.
Was für ein toller Film! Frances McDormand kann ja ungefähr alles spielen (nicht mal ihre Gastrolle in einem schwer erträglichen „Transformers“-Streifen hat der Frau geschadet), hier aber nimmt sie sich spürbar zurück. Sie verschwindet fast in der Rolle der so gebrochenen wie aufrechten Frau, die ihr Leben repariert wie ihr Wohnmobil und ihre alten Teller. Und ich verstehe nun auch, warum Marvel die Regisseurin für „The Eternals“ haben wollte, um einen etwas anderen Superhelden-Film zu inszenieren. (Was Zhao übrigens nicht ganz so schadlos weggesteckt hat.) In der Ruhe liegt die Kraft, da ist schon was dran.
Ich bin froh, ein Dach über dem Kopf zu haben. Ich bin froh, ab und zu ein wenig Fernweh zu haben. Und ich bin wirklich froh, „Nomadland“ gesehen zu haben.