13 vergeudete Stunden

13 vergeudete Stunden

Die letzten fünf Folgen habe ich im Schnelldurchlauf geguckt. Heißt: die Folge lief, ich ging auf “Vorspulen” und die Untertitel zum englischen Originalton wurden trotzdem noch angezeigt. Das hatte den großen Vorteil, dass ich zwar immer noch sah, was in der jeweiligen Szene gesprochen und getan wurde, allerdings deutlich schneller, so dass die zahlreichen zähen Momente absolut entzerrt wurden. In der letzten Folge schaute ich dann teilweise wieder in Originalgeschwindigkeit, denn ein bisschen Spannung sollte ja auch aufkommen.

Um welche Serie geht es eigentlich? Es geht um die Netflix-Serie “13 reasons why” oder auf Deutsch (übrigens eine selten dämliche Übersetzung) “Tote Mädchen lügen nicht”.

Die Serie wird hochgelobt, las ich. Alle, die darüber schrieben, fanden es extrem spannend. Ich konnte mir noch nicht vorstellen, wie etwas spannend sein konnte, wenn der Ausgang der Geschichte schon von Sekunde eins an feststand. Ich wurde überrascht, zumindest zu Beginn. Die erste Folge ist extrem unterhaltsam und spannend. Am Ende stellt sich der Zuschauer wirklich nur eine Frage: Was ist mit Hannah Baker passiert?

Dann geht es weiter, Hannah hat insgesamt 13 Kassetten besprochen – mit Gründen für ihren Selbstmord. Ich schreibe es mal läppisch so: Die ersten 9 Gründe sind lachhaft. Die Macher legen ja großen Wert darauf, zu erklären, dass eins das andere ergab. Dass die Verkettung dieser ganzen Umstände zu ihrem Selbstmord führen.

Aber am Ende lebt die Serie oder vielmehr die Geschichte nur von den üblichen Plattitüden: Menschen, die sich schämen, über etwas zu reden. Menschen, die sich nicht zur Wehr setzen, Menschen, die sich von Lappalien verunsichern lassen. Daraus resultieren dann Missverständnisse, Zufälle, Unfälle und noch mehr Missverständnisse. Was dazu führt, dass noch weniger geredet, aufgeklärt und weiterhin missverstanden wird. Kommt einem bekannt vor? Klar, das ist der Stoff einer jeden Seifenoper. Missverständnisse schüren, Intrigen spinnen, ein Opfer an die Wand drücken. Willkommen bei “Gute Zeiten, schlechte Zeiten”.

Ich will hier keinesfalls Mobbing-Opfer oder vielmehr Mobbing verharmlosen. Ich wurde selbst in der Schule gemobbt, ein ganzes verdammtes Jahr lang. Und ich sage mal so: Bis Folge 9 kann ich definitiv mit Hannah mithalten. Ernsthaft – eine Liste, auf der man mit “best ass” geführt wird, ist ein Problem? Dann rede doch verdammt noch mal darüber. Deine Freundin erzählt Lügen über dich? Ja, das passiert nun mal?

Die Serie bleibt so atemlos und unglaublich, weil Hannah Baker zu Beginn alles überdramatisiert und diese Dinge nicht aufklärt. Sind Menschen so? Vermutlich. Aber das hier ist mir einfach zu konstruiert, zu bemüht, zu gewollt. Nach acht bzw. neun Folgen bin ich soweit, die Serie einfach nicht weiterzugucken, weil es dermaßen an den Haaren herbeigezogen ist, dass ich nicht mehr folgen will.

Dann, endlich, ziehen die Autoren, ihre Trümpfe aus dem Hut. Die wirklich schlimmen Dinge. Achtung, Spoiler: ein tödlicher Unfall, zwei Vergewaltigungen, Demütigung ohne Ende. Ja, okay, endlich hat das alles irgendwie einen Sinn. Aber hier bin ich schon an dem Punkt, an dem ich nur noch wissen will, wieso sie sich letztlich das Leben nimmt. Ich schaue also alles im Schnelldurchlauf. Clay Jensen tut mir irgendwie leid, irgendwie auch nicht, steckt er doch in der Rolle des trotteligen und unbeholfenen Freundes, der am Ende Schuld trägt, weil er Hannah nicht sagen konnte, dass er in sie verliebt ist. Ernsthaft? Ich meine: WIRKLICH?

Die Serie hat mich unzufrieden zurückgelassen. Sie ist KEIN gutes Beispiel für junge Menschen. Weder, was den Umgang mit anderen Menschen angeht, noch, was das eigene Verhalten betrifft. Vermutlich soll sie aufrütteln. Am Ende sagt Clay deutlich, dass es darum geht, wie wir mit anderen Menschen umgehen. Schöner wäre gewesen, Hannah hätte diesen Menschen, die jeden Tag unter den Demütigungen ihrer Mitschüler leiden, einen Weg aufgezeigt, wie man es aus dieser Misere schafft. Indem man sich anderen anvertraut (das tut sie am Ende zwar, aber auch eher halbherzig und belässt es bei diesem einen sehr gewollten Versuch, von dem sie quasi erwartete, dass er scheitern würde), sich öffnet, mit seinen Eltern spricht, mit Lehrern – und vor allem mit der Polizei. All das tut sie nicht, wohl weil es spiegeln soll, wie es anderen Teenagern geht, die das ebenso machen. Der Ansatz bleibt trotzdem falsch.

Und trotz der ganzen Dramatik in den letzten vier Folgen bleibt der Eindruck der ersten Folgen, dass Hannah eine Drama Queen ist, sich übermäßig in alles reinsteigert, es durch Schweigen noch schlimmer macht – das macht mich derart zornig, vielleicht, weil ich damals einen anderen Weg eingeschlagen habe, dass ich dem Mädchen kaum zugucken kann. Sie nimmt 13 Kassetten auf, aber hinterlässt ihren Eltern keinen Abschiedsbrief? Geht es noch dramatischer? War das nötig?

Fazit: Nichts für mich. 13 Stunden vergeudet. Schade.

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