„Springsteen: Deliver Me From Nowhere“ ist Psychogramm, nicht Rockshow
„Ich habe die Zukunft des Rock’n’Roll gesehen und ihr Name ist Bruce Springsteen.“ Das schrieb Musikkritiker Jon Landau 1974 über den Mann, dessen Manager und bester Freund er kurz darauf wurde. Acht Jahre später hat der hart schuftende Springsteen es an die Spitze geschafft: Seine Hits wie „Born To Run“ oder „The River“ berühren die amerikanische Seele, er erzählt von Menschen am Rande der Gesellschaft, aber auch von Hoffnung, und auf den Bühnen der Welt spielt er fast bis zum Umfallen für ein stetig wachsendes Publikum.
Doch tief in seinem Inneren lauern Dämonen: Die Erinnerungen an seine schwierige Kindheit, das kaputte Verhältnis zum alkoholkranken Vater, aber auch eine zunehmende Leere treiben ihn um und lähmen ihn zugleich. Als er sich in ein Haus am Wasser zurückzieht, um allein an neuen Songs zu arbeiten, konfrontiert ihn die Einsamkeit mit einem Gegner, der fortan sein ständiger Begleiter werden soll. Depressionen machen auch vor Rockstars nicht Halt.
Das hier ist nicht „Bohemian Rhapsody“, es ist nicht mal „Walk The Line“. Wer eine anekdotische Nummernrevue zum Mitsummen erwartet, sei gewarnt: „Springsteen: Deliver Me From Nowhere“ ist so karg und dunkel wie das Album, dessen Entstehungsgeschichte der Film erzählt. Und verhält sich zu den genannten Kassenschlagern wie „Nebraska“ zum Stadionrock, mit dem Uneingeweihte den Boss im Allgemeinen assoziieren.
Regisseur Scott Cooper hat schon mit seinem Erstlingswerk „Crazy Heart“ (2009) gezeigt, dass er ein Herz für strauchelnde Musiker hat. In sorgfältig inszenierten Bildern erzählt er die wahre Geschichte hinter der ungewöhnlichen, weil ungewohnten Platte, deren Veröffentlichung Springsteen und Landau gegen die Forderungen von Marketingstrategen durchsetzen, die auf weitere eingängige Hymnen gehofft hatten. Vor allem aber erzählt er vom Kampf des Protagonisten gegen sich selbst, vom zähen Ringen um seine Kunst und von seiner Unfähigkeit, am Leben teilzuhaben.
„Meine Depression brodelt wie eine Ölpest“, beschreibt der Sänger diese Zeit in seiner Autobiografie „Born To Run“. Jeremy Allen White („The Bear“) verkörpert Springsteen erwartet derart passgenau, dass der Oscar für diese Leistung fast nur noch Formsache sein dürfte. Ohnehin ist der Film hochkarätig besetzt: Stephen Graham beispielsweise, zuletzt für die Serie „Adolescence“ gefeiert, beeindruckt als scheiternder Vater, der selbst ein Opfer seiner Lebensumstände ist.
Fast so etwas wie der heimliche Hauptdarsteller ist jedoch Jeremy Strong in der Rolle des Jon Landau. Dieser hält seinem Freund und Schützling mit einer Mischung aus Gelassenheit und Loyalität den Rücken frei, und Strong fängt die lakonische und gleichzeitig melancholische Art des Musikmanagers perfekt ein. Klar, White wird viel Lob dafür bekommen, Gestik und Mimik der Hauptfigur anzunehmen und sogar die Konzertszenen unglaublich dicht am Original zu singen. Aber in einem Film, der durchaus auch mit Monotonie und Tristesse arbeitet, sind es oft die kleinen Gesten, die einen besonderen Eindruck hinterlassen.
Einzig die fiktive Liebesgeschichte wirkt mitunter wie ein Fremdkörper. Sie zerrt das Drama ein wenig in jene Hollywood-Heimeligkeit, die als Zugeständnis an Sehgewohnheiten jenseits von Arthouse wohl dazugehört. Vielleicht mildert sie aber auch einfach die Fallhöhe, wenn statt einer unterhaltsamen Mär aus der Vergangenheit des Rock’n’Roll ein forderndes Psychogramm über die Leinwand flimmert.
Aber keine Sorge: Der Film endet – so viel sei verraten – auf einer versöhnlichen Note. Wie selbst die traurigsten Springsteen-Songs in aller Regel den erwähnten Hoffnungsschimmer mitbringen. Wer den Boss live erlebt hat, weiß, dass er längst gelernt hat, mit seinen Depressionen zu leben. Und dass das Leben oft ein harter Brocken sein kann, aber es sich immer lohnt, in die Zukunft zu schauen.