Konkurrenz für den dunklen Ritter: “Moon Knight” geht an Grenzen

Konkurrenz für den dunklen Ritter: “Moon Knight” geht an Grenzen

Steven Grant (Oscar Isaac) ist mit den Nerven am Ende: Völlig übermüdet schleppt sich der verschrobene Einzelgänger und notorische Pechvogel durch seinen kaputten Alltag, denn als eine Art Schlafwandler scheint er Nacht für Nacht sein winziges Apartment in London zu verlassen. Also kettet er sich selbst ans Bett und versiegelt die Wohnungstür – und trotzdem hat er ständig Erlebnisse, die nahelegen, dass er eine Art zweites Leben lebt, an das er sich nicht erinnern kann. Wieso hat der schüchterne Veganer seine attraktive Kollegin ins Steakhaus eingeladen? Wann hat er seinen Goldfisch umgetauscht? Wer ist Marc Spector? Und wie zur Hölle ist er in ein fremdes Land geraten, wo er von Killern gejagt und von einem Sektenführer (Ethan Hawke) bedroht wird? Zunächst hält Steven einige dieser Erlebnisse für Albträume oder Wahnvorstellungen. Bis ihm sein Spiegelbild rät, sich nicht länger zur Wehr zu setzen. Und der Moon Knight erwacht.

Die langerwartete neue Marvel-Serie auf Disney+ startet mit einigen Vorschusslorbeeren, aber auch unter einem hohen Erwartungsdruck. Immerhin sahen die Trailer durchaus vielversprechend aus, und der Mondritter hat unter Comic-Fans seit Jahrzehnten begeisterte Anhänger, nachdem er anfangs als mythologisch verklärte Antwort auf Batman belächelt wurde. Tatsächlich kommt der Auftakt mit sämtlichen Elementen daher, die aus der gezeichneten Vorlage etwas Besonderes machen: Visuell liegt die Serie zwischen neurotischem Großstadt-Drama, klassischem Action-Kino und einem Hauch Horror-Atmosphäre.

In Sachen Gewalt hält sich das erste Abenteuer des düsteren Rächers eher zurück. Klar geht es hier und da ordentlich zur Sache, aber nachdem das Haus der Maus kürzlich “The Falcon and the Winter Soldier” nachträglich von allzu brutalen Szenen befreit hat, bleibt auch hier alles im familientauglichen Rahmen. Das stimmt ein wenig nachdenklich, was den dritten Teil von “Deadpool” und mögliche Fortsetzungen der Netflix-Marvel-Serien angeht, die ja zum Marvel Cinematic Universe gehören werden, bislang aber klar für ein erwachsenes Publikum gedacht waren.

Was “Moon Knight” aber schon mit der ersten Folge wirklich sehenswert macht, ist die Leistung von Oscar Isaac. Der 43-Jährige stürzt sich buchstäblich in die Rolle des schizophrenen Antihelden und spielt dessen unterschiedliche Persönlichkeiten mit beeindruckender Mimik und Gestik, dabei überraschend subtil und nuanciert. Wer ihn bislang nur aus “Star Wars” und “X-Men: Apocalypse” kannte, wird staunen, wie unterschätzt der Mann als Schauspieler – einigen Preisen zum Trotz – noch immer ist.

Insgesamt macht der Pilotfilm eindeutig Lust auf mehr. Wenn die kommenden Episoden das Niveau der ersten halten, erwartet uns eine weitere Facette im bunten Marvel-Kosmos. (Nach diesem ersten Fazit noch zwei Anmerkungen: Erstens ist es schon ein bisschen unheimlich, wie gut einstige Posterboys der Generation X wie Hawke inzwischen alte Männer spielen können. Und zweitens glaubt bitte nicht alles, was das Feuilleton über “Moon Knight” schreibt – das hier ist kein Held aus der zweiten Reihe und er erfindet auch nicht das MCU neu. Aber er geht durchaus an Grenzen und wird hoffentlich irgendwann neben Daredevil oder Jessica Jones seinen Platz zwischen den Straßenkötern unter den Superhelden finden.)

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