Reich und Schön – die Antwort
Wieso schaut man Reich und Schön? Hier kommt der Gastbeitrag der im Posting zuvor erwähnten Kollegin.
WARUM, in der Tat… Warum habe ich nicht sofort wieder weggeschaltet oder die Kiste (mein Fernseher ist übrigens tatsächlich noch eine Kiste!) gleich eingetreten? Warum bin ich nach dem großartigen Schlagabtausch, der sich unter meinem Facebook-Posting entsponn, sogar noch zusätzlich und freiwillig tiefer ins „Bold and Beautiful“-Universum eingetaucht und habe mich durch Fanseiten, Episodenguides und Fotogalerien im Internet geklickt? Nur um noch mehr Grauen zutage zu befördern und noch entsetzter zu sein, als ich es sowieso schon war?
Vielleicht erklärt es sich mit einem Äquivalent zu dem, was in der Psychologie als „Angstlust“ beschrieben ist – ein Phänomen, das man schon in der Antike kannte: Etwas jagt uns fürchterliche Angst ein, an der wir uns aber gleichzeitig weiden. Man denke an eine Achterbahnfahrt, einen Fallschirmsprung oder einen Horrorfilm. Wo wir uns etwas Angsteinflößendem aussetzen, das wir aber potentiell schadlos überstehen werden oder nur aus einer sicheren Distanz heraus erleben müssen. Wenn die Angst überwunden ist, stellt sich Befriedigung ein – ein Prinzip, das schon im Prinzip der griechischen Tragödie gespiegelt ist: Durch Furcht (phobos) und Mitleid (eleos) zur Reinigung (katharsis). Und möge Aristoteles mir vergeben, dass ich ihn hier ins Spiel bringe, wenn es um „Reich und Schön“ geht. Frevel.
Ich erinnere mich mehr oder minder dunkel, dass ich vor etlichen Jahren schon einmal einige Folgen gesehen habe und dadurch zumindest mit ein paar Charakteren vertraut war. Taylor tauchte wieder auf, nachdem sie totgeglaubt war, aber irgendwo im Orient gelebt hat und Stephanie war dem Tode geweiht und wurde nur von Erzfeindin Brooke darin unterstützt, Obdachlosen helfen zu wollen? Oder so ähnlich? Dank Freund Internet weiß ich, dass das von dem Serienstand aus, der aktuell meine späten Mittagessen begleitet, bereits in der Zukunft lag. Bei der Recherche lese ich übrigens einen Fankommentar aus dem Jahr 2012, in dem es um Vertragsverhandlungen einiger Darsteller geht: „Langsam habe ich das Gefühl, dass die uns verar***en wollen?“ Langsam? Die Serie läuft seit 1987. Wie nah am Hirntod muss der durchschnittliche Fan denn sein?! Abgründe… Am faszinierendsten fand ich damals jedenfalls, Lorenzo Lamas wiederzusehen, Lance aus „Falcon Crest“.
Jetzt wird also irgendwo in den 4000ern gesendet, folgentechnisch. Und sämtliche Konstellationen hat es schon einmal gegeben, mehrfach, und sie werden sich offenbar auch weiterhin wiederholen. Kirsten postet mir ein Video, bei dem mir nach kurzer Zeit schwindelig wird angesichts des Beziehungskarussells. Ich frage mich, wie diese Drehbuchautoren bloß arbeiten – wobei das Wort „DREHbuch“ hier eine völlig neue Bedeutung erfährt.
„He, was schreiben wir denn mal für nächste Woche?“
„Boa, keine Ahnung, vielleicht ist Brooke ja doch noch nicht über Ridge weg und dann könnte Nick auch gleich nochmal mit Bridget ins Bett gehen?“
„Warte, das kommt mir irgendwie bekannt vor – hatten wir das nicht schonmal?“
„Echt? Ach, ist doch auch egal, hat bis jetzt doch auch keinen gestört…“
Vielleicht haben die Autoren dringende Termine, im Zweifel beim Schönheitschirurgen, und müssen sich ein bisschen sputen. Oder das läuft so ähnlich wie mit Call-Centern und irgendein armer Inder muss an einem Schreibtisch in Delhi einen Dialog entwerfen, den dann ein osteuropäischer Einwanderer mit einem norwegischen Wörterbuch ins Englische zurückübersetzt. Die Darstellerin (darf man dieses Wort in diesem Zusammenhang echt benutzen?) von Brooke ließ 2012 verlauten: “Ich freue mich sehr, Ihnen mitteilen zu können, dass ich meinen Vertrag mit ‘Reich und Schön’ um zwei weitere Jahre verlängert habe. Brad [Bell] hat sich einen aufregenden neuen Handlungsstrang für Brooke ausgedacht und ich denke, die Fans werden ihn lieben”. Da möchte ich weinen. Aufregend und NEU? Die kriegen das glaube ich selbst nicht mehr mit. Die sind in einer Zeitschleife gefangen. Kein Wunder, dass sie alle meinen, noch aussehen zu müssen, wie sie 1987 ausgesehen haben. Und täglich grüßt das Botoxtier. „Hörst Du das Rauschen? Darin sind all meine Wünsche“. Nick am Strand. Angstlust. Schauder.