Wenn Legenden leise sterben: Die “X-Files” sind geschlossen

Wenn Legenden leise sterben: Die “X-Files” sind geschlossen

Kirsten: Ich gehöre zu den fünf Fans auf diesem Planeten, die niemals wollten, dass Chris Carter die X-Akten noch einmal in die Hände nimmt. Der zweite Film war unterirdisch schlecht, aber das Ende war versöhnlich. Mulder und Scully zusammen in diesem Haus mitten im Nirgendwo. Sie Ärztin, er weiterhin einfach ein Nerd. Irgendwie glücklich, nicht mehr beim FBI. Die Monster im Dunkeln müssen sie nicht mehr jagen. Sie hatten sich. Endlich ein Ende! Ich war damit zufrieden. Und in der Sekunde, als es hieß, dass Chris Carter eine zehnte Staffel X-Files produzieren würde, war mir klar, dass das nur in der kompletten Katastrophe enden konnte.

Die zehnte Staffel, die ähnlich schlecht war wie der zweite Film, ließ mich ratlos und uns alle mit einem riesengroßen Cliffhanger zurück. Nun, in Staffel 11, stellte sich heraus: Scully hatte “nur” Visionen. Ach so, na dann. Diesmal zehn statt nur sechs Episoden, da sollte doch eigentlich genug Zeit sein, einen Plot zu entwickeln, die Mythologie wieder auf die Reise zu schicken, die fiesen Gegenspieler vorzustellen und standesgemäß einzuführen. Die elfte Staffel war stets bemüht – würde ich ins Zeugnis schreiben, denn diesmal dienten nicht nur die Klappen-Folgen 1 und 10 als Mythologie-Erzählung, sondern es wurde zwischendurch immer mal wieder William, der verschollene Sohn, ins Spiel gebracht. Dennoch ging der Versuch wieder daneben. Für dieses glücklose Unterfangen steht vor allem die Abschlussfolge, die gut und gerne die letzte X-Files-Folge überhaupt sein kann. Auf jeden Fall die letzte mit Gillian Anderson, die ihren Rückzug schon verkündet hat. Im Grunde ist das alles spoilerfrei schnell zusammengefasst: Verfolgungsjagden mit Auto, zu Fuß und natürlich immer im Dunkeln und unbedingt ohne Hand und Fuß. Und das alles möglichst lang, damit man sich 15 Minuten lang schon mal über die Zeit ärgern kann, die damit vertan wurde, unsinnige Jagden zu zeigen, statt eine Geschichte zu erzählen. Ich schaute das erste Mal nach 18 Minuten auf die Uhr, erschrak darüber, dass schon 18 Minuten vorbei und eigentlich noch nichts passiert war! Und dann geht alles ganz schnell. Showdown, Waffen, viel Dunkelheit, Tote, Blut, der Krebskandidat, William, Mulder und Scully. Und ein Ende, bei dem man nicht weiß, ob man weinen oder lachen soll. Irgendwie weniger dramatisch als gedacht, kein gar so schlimmer Cliffhanger, aber alles sehr unbefriedigend. Dialoge aus der Hölle, eine Mythologie ohne Anfang, ohne Ende, ohne Sinn und Verstand. Gegenspieler, deren Tod einen komplett kalt lässt, weil man sie eh nicht kannte.

Unter dem Strich steht ein Satz: Chris Carter hat seine eigene Kreation langsam und qualvoll umgebracht. Er kann es einfach nicht (mehr). Bitte bitte bitte lasst ihn das einfach nicht mehr tun. Lasst Mulder und Scully und ihr kleines Wunder einfach in Ruhe.

Immerhin hat Carter hellseherische Fähigkeiten. Die allumfassenden Folgen heißen nicht umsonst “Der Kampf”, wörtlich übersetzt eigentlich “Mein Kampf” – aber das traute man sich in Deutschland aus verständlichen Gründen wohl nicht. Auf jeden Fall sind alle vier Teile der pure Kampf: ums eigene Überleben, um nicht einzuschlafen, gegen den Herzinfarkt vor lauter Zorn, gegen eine wütende Heulattacke, um den eigenen Verstand. Vielen Dank, Herr Carter, wir arbeiten daran. Es spricht für sich, dass der beste Satz aus der vierten Episode der “Kampf”-Reihe dieser hier von Mulder ist: “I had some payback … to pay back.” (Ich musste Vergeltung… vergelten.) Hatte ich Dialoge aus der Hölle erwähnt?

Lieber Chris Carter, einen Gefallen bitte: Leg den Griffel weg!

Markus: Es hätte so schön sein können: Mit Geschichten über psychopathische Zwillinge (grandiose Leistung von Karin Konoval!), Höllenhunde und Amok laufende Technik, die hinter dem “Black Mirror” lauert, bewiesen die “X-Files”, dass sie nicht zum alten Eisen gehören und in guten Momenten dem Nachwuchs zeigen, wo der Hammer hängt.

Einzig der Auftakt ließ dröhnende Schläge auf den Amboss vermissen und stattdessen ein harmloses, aber selbstverliebtes Hämmern hören – denn einmal mehr stand Chris Carter an der Schmiede, und der hat seinen Schwung bereits irgendwann Anfang der 90er verbraucht. Der Mann hat ein ganzes Genre erfunden oder zumindest definiert. Er hat eine Fernsehserie geschaffen, die wie keine andere ein Jahrzehnt geprägt hat. Er hat uns Mulder und Scully geschenkt, das verdammt tollste Paar in der Geschichte des Heimkinos. Und zu keinem Zeitpunkt hat er verstanden, was er da überhaupt tut.

Denn es war nicht schön, es war schade – das Ende nämlich, der Staffel, der Serie gar. Die Erwartungen waren hoch, und das waren sie zurecht. Wenn Legenden gehen, dann bitte mit einem lauten Krachen, das den metaphorischen Amboss in tausend Teile zerbersten lässt. Wir wollten einen Rückblick mit Erinnerungen an all die Charaktere, die uns so lange begleitet haben – die Gunmen, Deep Throat, meinetwegen den fuckin’ Wurmmann! Wir wollten Pathos und bittersüße Melancholie. Wir wollen ein Happy End – oder wenigstens ein Ende, das dem übermächtigen Erbe der X-Akten würdig ist.

Stattdessen bekamen wir eine mit ungelenk inszenierten Vorfolgungsjagden gestreckte Standardfolge voller Leerlauf, sinnlosem Getöse und einer letzten Szene, die allenfalls nicht ganz so furchtbar war wie befürchtet. Nur: Dies sind die “X-Files” – und wenn die für immer zugeklappt werden, dann hat das gefälligst großartig zu sein und nicht “hätte schlimmer kommen können”.

Schlimmer geht natürlich immer, das hat uns Mister Carter so intensiv gelehrt wie niemandem zu vertrauen. Aber wenn wir ein Vierteljahrhundert lang mitfiebern, wie die beiden FBI-Agenten die Wahrheit jagen, dann wollen wir am Schluss erleben, dass diese nicht mehr irgendwo da draußen ist, sondern endlich greifbar nah. Und dass unsere Helden ihre verdiente Ruhe finden.

Doch Sturkopf Carter serviert uns einen stumpfen, einen verkrampften, einen weiteren Cliffhanger. Eigenartige Dialoge, die selbst Anderson und Duchovny einiges abverlangen. Eine Storyline, die im Nichts endet. Und eine Reihe unnötiger und sinnfreier Tode. Das alles ist fast würdig, in diese Liste des Grauens aufgenommen zu werden. Unterm Strich bleibt ein Satz mit X (immerhin das ist konsequent) und die Hoffnung, dass die X-Akten wirklich für immer geschlossen bleiben. Traurig genug.

Mulder und Scully werden mir fehlen. Ihr Erfinder sicher nicht.

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