Tränenreicher Abschied von den Knast-Frauen

Tränenreicher Abschied von den Knast-Frauen

Als ich vor sechs Jahren anfing, Orange Is The New Black zu schauen, war das keine Liebe auf den ersten Blick. Ich schaute die erste Folge und war gelangweilt. Weil ich als leidenschaftlicher Seriengucker weiß, dass man nicht nach einer Folge aussteigen sollte, wenn einen das Setting nicht komplett abtörnt, habe ich weitergeguckt. Folge zwei. Nein, das ging wirklich gar nicht. Es war sterbenslangweilig für mich. Piper Chapman, die wohlsituierte weiße Frau, die im Knast landet, weil sie Drogengeld transportiert hat, irgendwie fehlte da was. Im Knast passierte das, was wohlsituierten, weißen Menschen immer passiert: Sie werden nicht gerade mit offenen Armen empfangen und schließen auch nicht sofort dicke Freundschaften. Dieses Klischee wurde bestätigt, als Piper Chapman es sich direkt mit der Knast-Köchin verscherzte und dann ausgehungert wurde. Obwohl Kate Mulgrew, eine meiner absoluten Lieblingsschauspielerinnen dabei war, konnte ich nicht weiterschauen. Der Versuch war nach zwei Folgen beendet. Für etwa ein halbes Jahr.

Dann startete ich erneut, weil ich nur Lobeshymnen las. Ich quälte mich erneut durch die ersten Folgen und stellte mit Schrecken fest, dass auch die Folgen drei und vier nicht gerade leichten Zugang boten. Aber ich blieb dran und wurde belohnt mit einer der besten Serien, die jemals gemacht worden ist. Ein riesengroßer Cast, was es so sicher auch noch nicht gegeben hat, tolle Geschichten, Schauspieler, die teilweise so gar keinen geradlinigen Lebenslauf hatten, sondern sogar direkt selbst aus dem Gefängnis ans Set kamen. Markante Gesichter, in denen Leben stand und sich zeigte. Frauen, die bislang im Fernsehen noch keine Chance erhalten hatten und sich jetzt um Kopf und Kragen spielten. Ich war gefesselt, ganz plötzlich, und konnte nicht mehr aufhören, weiterzuschauen.

Nun steht die siebte und letzte Staffel bereit. Und obwohl ich mir vorher so fest vorgenommen hatte, maximal eine Folge am Tag zu schauen, damit ich ebenso maximal davon zehren konnte, habe ich es natürlich nicht geschafft. So schaute ich zwei Folgen am Samstagabend und alle anderen elf am Sonntag. 14 Stunden Dauerglotzen, einzig unterbrochen von Koch- und Klopausen. Und Heulpausen. Oh, was habe ich geweint. Nein, ich weine nicht bei Serien. Sehr selten, und wenn, dann nur sehr wenig. Das sind normalerweise Sekunden, in denen mir Tränen in den Augen stehen, dann vergeht es. Nicht hier, nicht jetzt. Fast in jeder Folge habe ich geweint. Richtig geweint. Mal richtig bitterlich, um mich selbst, um die Charaktere, um ihre Geschichten, ihre Schicksale. Weil sie so nah am echten Leben sind, dass es einem nur nahe gehen kann. Weil wir alle sieben Jahre mit ihnen gelitten, gefeiert, gehofft, für ein besseres Leben, für Gerechtigkeit, für mehr Liebe gebetet haben.

Und natürlich bekommen nicht alle Charaktere ihr Happy-End, das wäre unmöglich. Und es wäre das, was die Serie in vielen Jahren oft erfolgreich vermieden hat: Fiktion. Orange Is The New Black wollte immer auch die Realität abbilden, den Zuschauern aufzeigen, wie es im US-amerikanischen Justizsystem zugeht, dass nicht immer Gerechtigkeit herrscht. Und dass vor allem nicht jeder, der Recht hat, auch Recht bekommt.

Nach dem Komaglotzen dieser letzten 13 Folgen kann ich sagen, dass ich mit dieser Staffel deshalb sehr zufrieden bin, weil sie zu ihren Wurzeln zurückgekehrt ist. Viele Rückblenden in die Leben vor dem Gefängnis, viele Geschichten der Charaktere, viele Emotionen, viele Zweifel, viel Scheitern, aber auch dieses starke, untrügliche Gefühl des Niemals-Aufgebens. Allen voran zu spüren bei Tasha “Taystee” Jefferson (Danielle Brooks), die ein wenig in den Fokus der letzten Staffel rückt, weil ihre Geschichte besonders bedrückend ist. Dicht gefolgt von Nicky Nichols (Natasha Lyonne), die plötzlich zur Knast-Mutter wird, weil ihre engsten Vertrauten so krank werden, dass sie ihre Hilfe, ihre Unterstützung benötigen. Und Nicky weiß noch nicht, ob sie es schafft, aber sie versucht es. Auch Piper Chapman gibt nicht auf. Sie stolpert in Staffel 7, sie kennt offensichtlich ihren Weg nicht. Aber sie versucht es. Und das alles gilt auch für fast alle anderen Charaktere (Suzanne Warren, die aus ihren Kinderschuhen in Teenagerschuhe wächst; Cindy Hayes, die sich trotz Obdachlosigkeit an ihr großes Herz erinnert; Gloria Mendoza, stets zerrissen zwischen der eigenen Familie und dem Wunsch, anderen zu helfen; Alex Vause, die sich erst fügen muss und dann doch darauf besinnt, was ihr im Leben wichtig ist; Galina “Red” Reznikov, die sich einer furchtbaren Diagnose ausgesetzt sieht, aber nach einer kurzen Phase der Trauer versteht, dass es kein Entrinnen gibt – zuckersüß ist eine der letzten Szenen zwischen ihr und Lorna Morello, die schlichtweg ihren Verstand verloren hat, eine der traurigsten Geschichten dieser siebten Staffel).

Und so geht diese siebte Staffel noch einmal an alle Grenzen des Ertragbaren. Es ist kaum auszuhalten, dass Karla Córdova mit gebrochenem Knöchel und einer Flasche Wasser in der Wüste auf dem Weg zurück in die USA im Schatten eines Busches wohl sterben wird. Wo wir doch gerade erst ihr Abschieds-Telefonat mit ihren Söhnen gehört haben, denen sie verspricht, dass sie irgendwann wieder bei ihnen, aber dass sie auf jeden Fall immer auf dem Weg zu ihnen sein wird. Es tut weh, dass Pennsatucky nicht mehr an sich glaubt und dann an einer Überdosis wohl eher zufällig stirbt als gewollt und wir alle hinterher erfahren, dass sie so dumm, wie sie sich selbst sah, nie gewesen ist. Es ist schmerzhaft, dass es für Taystee keine Gerechtigkeit geben wird. Und es ist nicht schön, dabei zuzusehen, wie Daya Diaz sich zur Drogenbaronin aufschwingt, weil ihr das Leben außer Niederlagen nichts gegeben hat. Und niemand kann wollen, dass Maritza Ramos abgeschoben wird, wo sie doch amerikanischer als viele Amerikanerinnen ist.

Was die Serie all die Jahre für die vorher teilweise total unbekannten Schauspielerinnen bedeutet hat, sieht man übrigens im Abspann der letzten Folge, als Nicky Nichols, also Natasha Lyonne, verzweifelt versucht, ihre Zeilen darüber aufzusagen, dass die Band sich jetzt wohl trennt, aber dass sie vielleicht irgendwann eine Reunion-Tour machen, und dabei immer wieder in Tränen ausbricht. Auch für die Schauspielerinnen war dies eine prägende Zeit, ebenso wie für die Fernsehindustrie, speziell für Netflix, das mit diesem Hit Geschichte geschrieben hat. Nun können wir froh sein darüber, dass Jenji Kohan das Ende so gut gelungen ist. Gibt es doch andere Serien, wo man sich noch Jahre nach der letzten Folge fragt, was die Autoren geraucht haben. Nein, Kohan blieb dicht an den Figuren, gab ihnen, was sie brauchten. Und es ist vollkommen richtig und korrekt, dass nicht alle bei Cocktails und Mariachi-Musik am Strand liegen und das Leben feiern. Denn so ist das Leben nicht, und so war auch Orange Is The New Black nie.

Den Schauspielerinnen kann man nur wünschen, dass sie weiterhin gute Rollen bekommen. Uzo Aduba hat nicht umsonst für ihre Darstellung der Suzanne Warren zwei Emmys gewonnen. Besetzt diese Frauen und ihr werdet belohnt, möchte man rufen. Dass sie es können, bewies zuletzt ja Natasha Lyonne (Nicky Nichols), die mit “Russian Doll/Matrjoschka” einen Hit des Jahres 2019 geliefert hat. Nicht nur als Schauspielerin, sondern als Ideengeberin des Ganzen.

Danke für wundervolle sieben Jahre. Und jedem, der immer noch überlegt, ob er die Serie schauen soll, dem sei gesagt: Überleb die ersten vier Folgen und du wirst belohnt mit dem besten Guckerlebnis der 2010er-Jahre. Vielleicht stellt man sich ein Fläschchen Sekt, Bier oder Wein dazu, dann sind diese ersten Episoden deutlich leichter verdaulich. Ach ja, eventuell könnte es dem ein oder anderen schwerfallen, Staffel 5 zu mögen. Die wird wohl als kritischste gesehen. Aber auch hier gilt: Langer Atem wird belohnt.

Viel Spaß!

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