Von einem, der auszog, das Lachen zu fürchten: “Joker” trumpft auf

Von einem, der auszog, das Lachen zu fürchten: “Joker” trumpft auf

Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) lacht oft und laut, aber nicht gern: Eine neurologische Störung zwingt den erfolglosen Clown und Möchtegern-Comedian, im unpassenden Moment ein verstörendes Gelächter ertönen zu lassen. Geschüttelt von diesen krampfartigen Ausbrüchen und niedergerungen von der Härte des Lebens im heruntergekommenen Moloch Gotham, fristet der verzweifelte Außenseiter ein tristes Dasein in den dreckigen Straßenschluchten der düsteren Metropole. Seine einzigen sozialen Kontakte sind seine Mutter Penny (Frances Conroy), mit der zusammen er ein winziges Apartment bewohnt, seine desinteressierte Therapeutin und ein paar andere Clowns, die sich wie er mit Aushilfsjobs durchschlagen. Seinen Vater kennt er nicht, aber Fernsehmoderator Murray Franklin (Robert De Niro) ist ihm Idol und imaginäre Vaterfigur zugleich. Und Penny versichert ihm, früher oder später werde ihr früherer Arbeitgeber Thomas Wayne (Brett Cullen), ein überheblicher Milliardär und Bürgermeisterkandidat, sie aus dem Elend befreien, weil er Gründe dafür habe.

Eines nachts gerät der gebeutelte Kauz in der schmuddeligen U-Bahn in eine Auseinandersetzung mit drei Yuppies: Die neureichen Strahlemänner verprügeln den schwächeren Arthur, der in ihren Augen für die Unterschicht steht, die ruhig mit Füßen getreten werden kann, wie ihr Arbeitgeber Wayne es vorlebt. Die Situation eskaliert, Fleck zieht eine Schusswaffe, und die drei Schnösel werden die ersten Opfer des Jokers. Von nun an ist die ohnehin dünne Linie zum Wahnsinn überschritten. Ohne Job, ohne Hoffnung, letztlich ohne die ödipale Zuneigung seiner kranken Mutter, wird aus dem ewigen Verlierer ein Symbol für alles, was verkommen und kaputt ist – ein kichernder Killer, der sich mit letzter Kraft aufrichtet und blutige Rache übt.

Nein, das ist nicht das Gotham, das wir bislang kennen gelernt haben. Diese Großstadt der frühen 80er scheint einem Alptraum entsprungen, nämlich der Realität jener Ära, in der Todd Phillips’ “Joker” spielt. Die Müllberge auf den Straßen locken Ratten an, die Menschen stolpern allenfalls achtlos aneinander vorbei, es regieren Gewalt, Korruption und unterschwelliges Chaos. Vor allem im Leben und im Kopf des Protagonisten, dem nur die symbiotische Beziehung zu seiner Mutter so etwas wie losen Halt gibt. Als der ihm genommen wird (und seine Arbeit und seine Medikamente), flüchtet er sich zunächst in Illusionen, später in enthemmte Bluttaten. Wobei nie völlig klar wird, in welche der beiden Kategorien das Geschehen auf der Leinwand einzuordnen ist.

Auf der anderen Seite, der vermeintlich hellen und lebenswerten, sieht es nicht viel besser aus. Showstar Franklin ist ein selbstverliebter Zyniker, dessen Erfolg darauf beruht, sich über andere lustig zu machen. Der Comedy-Club, in dem sich Arthur vergeblich als Stand-up-Comedian versucht, ist eine gnadenlose Arena der schlechten Witze. Und Thomas Wayne – im Comic und in den meisten Verfilmungen ein untadeliger Menschenfreund – ist ein eiskalter Darwinist, der sich zwar schützend vor seinen kleinen Sohn Bruce (Dante Pereira-Olson) stellt, aber vermutlich nur, um einen Stammhalter zu haben. In Interviews geht er gnadenlos mit jenen ins Gericht, die kein Glück hatten und in den Ghettos von Gotham zu Hause sind – und mit dem Killer aus der U-Bahn, der sich lachhaft hinter einer Maske verstecke.

“Joker” (der Film) ist nicht “Gotham” (die Serie), aber es gibt durchaus wenig subtile Anspielungen auf das, was möglicherweise auch in dieser Interpretation des Mythos kommen mag. Dies hätte Phillips sich ruhig verkneifen können, denn seine Version von “Taxi Driver” funktioniert als einsames Psychogramm am besten – dieser Film braucht keine Fortsetzungen oder Prequels, kein konstruiertes Universum oder stete Verweise auf andere Umsetzungen der Geschichte. Er zeigt eben nicht die bekannte und beliebte Gothic-Düsternis der Batman-Saga, sondern einen heruntergekommenen Großstadtdschungel, in dem man jederzeit erwartet, Scorseses Travis Bickle am Steuer eines zerschrammten Yellow Cab zu sehen.

Ohnehin hätte der Altmeister seinem offensichtlichen Fan (der bislang durch die “Hangover”-Trilogie von sich reden machte) vielleicht den einen oder anderen Tipp geben können. Joaquin Phoenix ist eine Urgewalt und wirft sich mit allem, was er selbst an Irrsinn mit sich rumschleppt, in die Rolle seines Lebens. Er gibt den Getriebenen, den “Mann, der lacht”, also das, was die Figur letztlich ausmacht. (Was übrigens Heath Ledger verstanden hat – und Jared Leto leider gar nicht.) Das und die durchweg sensationell gefilmten Bilder hätten vollkommen ausgereicht, um “Joker” zu dem zu machen, was er ist: ein gnadenlos guter Film nämlich. Zudem punktet der Regisseur mit mindestens einer makaberen Sequenz, bei der man förmlich zum Lachen gezwungen wird, ehe man sich fragt, ob es einem nicht besser im Hals steckenbleiben sollte. Aber weil er offenbar mehr wollte als nur einen verdienten Oscar für seinen Hauptdarsteller, verheddert er sich an zwei Stellen etwas zu sehr in Fanservice und Unentschlossenheit. So hat das Meisterwerk (und nochmal: über nichts weniger reden wir hier) zwei, drei Epiloge zuviel. Statt die Story mit einer großen Geste oder besser noch einer Nahaufnahme enden zu lassen, wird ganz zum Schluss gar Benny Hill bemüht. Und es gibt eine Szene, die lediglich angedeutet kraftvoller gewesen wäre als auserzählt. (Zumal wir sie nun wirklich schon hinreichend oft gesehen haben – wenngleich mit anderen Vorzeichen.)

Über die Moral zu diskutieren, ist übrigens müßig. Zwar hat vor allem das deutsche Feuilleton offensichtlich seine Probleme mit diesem längst preisgekrönten Thriller, aber das mag daran liegen, dass Comics (und “Joker” ist von einer Comic-Verfilmung so weit entfernt wie möglich) bei uns nach wie vor gerne als Schundliteratur oder bunte Lektüre für (ewig) Minderjährige fehlinterpretiert werden. Doch der Joker (der Charakter) ist eben kein Robin Hood für die Anhänger grotesk geschminkter Anarchisten. Er steht für jene, die in unserer Gesellschaft an den Rand gedrängt werden, wo man sie übersehen oder allenfalls verächtlich niederprügeln kann. “Joker” (der Film) zeigt, was passiert, wenn einer dieser Missachteten, dieser Ungeliebten und Verlachten plötzlich dafür sorgt, dass man ihn nicht mehr übersehen kann. Und der dabei zuletzt lacht.

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