Insert name here: Der Vorleser

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Logo_testKlar: Mit Filmen und Serien kennen wir uns aus. Und doch haben Kartoffeln manchmal Löcher, Sitzkartoffeln also auch: Wissenslücken. Wer kennt schon jeden Klassiker? Wir jedenfalls nicht. Wollen wir aber. Also rufen wir uns gegenseitig die Titel von Meisterwerken der Filmgeschichte zu, die das Gegenüber noch nie gesehen hat. Und nun gucken muss – und darüber schreiben (natürlich ohne Google).

Kirsten rief: Der Vorleser.

Markus’ erster Gedanke: Ah, das klingt nach Action – dem Titel nach irgendwas mit Verfolgungsjagden und Schießereien.

Ganz ehrlich: Wie man meinem ironischen ersten Gedanken entnehmen kann, hatte ich Vorurteile. Deswegen habe ich es auch sehr lange vor mir hergeschoben, mir den Film anzuschauen. Als ich das dann schließlich doch tat, wurde ich nicht enttäuscht. Oder eben doch. Aber der Reihe nach…

Der Film spielt auf mehreren Zeitebenen, zwischen den 50er und 90er Jahren. Die Geschichte in der Nachkriegszeit erzählt von einem Jugendlichen (David Kross), der sich erstmal übergibt. Dadurch lernt er eine etwas ältere Frau (Kate Winslet) kennen. Diese verführt ihn, und die beiden beginnen eine Affäre, die aus zwei Gründen ungewöhnlich ist: Erstens ist sie wie erwähnt älter als er (ich schätze ihn auf 16, sie auf Mitte 30) und zweitens gewöhnen sie sich an, dass er ihr vor dem Poppen etwas vorliest (das erklärt wohl auch den Titel des Films, sonst wäre dieser vielleicht “Der Beischläfer” oder so).

Vorlesen ging auch in den 50ern ganz okay, nehme ich an, aber der Altersunterschied dürfte seinerzeit gesellschaftlich nicht recht akzeptiert gewesen sein. An einer Stelle hält eine Kellnerin die Dame sogar für die Mutter des Jungen. Also tun die beiden, was man mit einer Affäre ohnehin meist macht: Sie halten sie einigermaßen geheim. Warum nur einigermaßen? Wir werden Zeuge einer gemeinsamen Radtour inklusive eines deutlichen Kusses in der Öffentlichkeit (der besagte Kellnerin erst recht irritiert). Diese Passage ist übrigens während des gesamten Films ungefähr die einzige Gelegenheit, zu der die Protagonisten lachen und die Sonne scheint.

Ansonsten herrscht eine ziemlich trübe Stimmung, auch in den wilden 60ern (der zweiten Zeitebene), als unser junger Freund seine inzwischen verschollene Liebe im Gerichtssaal wiedersieht. Sie sitzt auf der Anklagebank, weil sie im Dritten Reich als KZ-Aufseherin gearbeitet hat. Während dieser Tätigkeit hat sie unter anderem Häftlinge genötigt, ihr vorzulesen – weil sie das schlicht nicht kann. In den 70ern – die so mausgrau dargestellt werden wie die vorangegangenen Jahrzehnte – nimmt der inzwischen gereifte Vorleser (Ralph Fiennes) Kontakt zu seiner inhaftierten Jugendliebe auf. Und damit sind wir an der einzigen Stelle, die mich emotional berührt hat: Er schickt ihr selbst aufgenommene Cassetten, um ihr düsteres (klar) Dasein ein wenig zu erhellen. Allerdings stellt er erwartungsgemäß keinen Musikmix zusammen, wie das der eine oder die andere vielleicht kennt. (Die Möglichkeiten! Elvis’ “Jailhouse Rock”! Johnnys “Folsom Prison Blues”!) Sondern natürlich liest er ihr wie einst Bücher vor – und das hat schon was anheimelnd Romantisches.

In den 80ern (trist und deprimierend wie erwartet) treffen sich die beiden schließlich während der Besuchszeiten im Knast wieder. Damit der Film nicht zu fröhlich wird, nimmt sich die Frau kurz vor ihrer Entlassung das Leben. Ihr Vorleser bekommt per Testament den Auftrag, das Geld aus ihrem Nachlass einer jüdischen Organisation zukommen zu lassen – quasi eine Art Wiedergutmachung aus dem Jenseits.

In den 90ern schließlich steht der Mann mit seiner Tochter (Hannah Herzsprung) am Grab der Guten, wo er dem Nachwuchs die ganze traurige Geschichte erzählt. Boshaft ausgedrückt: “How I Met Your Mother” hätte noch schlimmer enden können, Freunde.

Ich kann mir wirklich keine Situation vorstellen, in der ich den Drang verspüre, mir einen Film wie diesen anzusehen – einen Film, der so sehr unter der eigenen bleischweren Last zerdrückt wird. Man kommt ja auch nicht nach Hause und denkt sich: “Jetzt mal schön ein paar blutige Autounfälle angucken.” Andererseits gibt es für beide Fälle sicher Menschen, die genau das tun – Voyeurismus auf der einen Seite, eine Begeisterung für Drama auf der anderen. Ich persönlich bin da einfach nicht Teil der Zielgruppe. Mir war nach gefühlten 48 Stunden (realen zwei) in der Gewalt der quälenden Tristesse zumindest sehr nach einer Runde alberner Witze oder wenigstens etwas Sonnenlicht. Aber vielleicht bin auch einfach zu doof und habe keine Ahnung von großer Kinokunst.

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