Mein 2020: Die Serien-Top-Ten des Jahres
In diesem verrückten, seltsamen, kaputten Jahr war ich genau ein einziges Mal im Kino: Im März haben wir uns beim Deutschen Fernsehkrimi-Festival in Wiesbaden vorab den (noch immer) aktuellen “Polizeiruf 110” angeschaut – und “Der Tag wird kommen” ist so gut, wie es besser in Sachen Sonntagabendkrimi kaum geht. Ansonsten waren Kinosäle tabu, fand Freizeit ohnehin nur im Freien statt. Stattdessen glühten im trauten Heim die Glotze und der Amazon-Fire-TV-Stick. Denn glücklicherweise gab es einiges an Serien, was sehenswert war. Meinem persönlichen Geschmack geschuldet, ist das hier sicher keine objektive Hitparade der erfolgreichsten Serien des Jahres – sondern mein ganz persönlicher Countdown.
10. Star Trek: Picard: Eine zusammengewürfelte Crew, eine einzige Mission, ein alternder Captain – die siebte Realserie aus dem Star-Trek-Universum bricht mit einigem, was das Franchise ausmacht, macht das aber wesentlich besser als das immer schwerer erträgliche “Star Trek: Discovery”. Jean-Luc Picard (Patrick Stewart) kehrt aus dem Ruhestand zurück, um der geheimnisvollen Dahi (Isa Briones) zu helfen, die von merkwürdigen Träumen heimgesucht wird. Zusammen mit einer Handvoll Getreuer kommt der Veteran einer Verschwörung auf die Spur, die bis in höchste Kreise der Sternenflotte reicht, findet aber zwischendurch noch Zeit für eine leckere Pizza mit alten Freunden. Das ist denn auch das große Problem des neuen Abenteuers unseres beliebten Kapitäns (das auf Amazon Prime zu sehen ist): Eigentlich ist es ein überlanger Film und müsste daher am Stück geguckt werden, was bei zehn Folgen selbst in der härtesten Quarantäne kaum möglich sein dürfte. In Häppchen serviert, kommt die Handlung nicht so recht aus dem Quark: Obwohl Picard gleich mehrere Gründe hat, aufs Gas zu treten, ist seine Reise eher ein beschaulicher Spaziergang. Trotzdem: Die Handlung bietet Fan-Service einerseits, originelle Ideen andererseits und weckt das Interesse an einer Fortsetzung.
9. Warten auf’n Bus: Hannes (Ronald Zehrfeld) und Ralle (Felix Kramer) sind beide Ende 40 und haben keinen Job. Mit Vorliebe treffen sich die eher erfolglosen Lebenskünstler an einer heruntergekommenen Busendhaltestelle, um zu philosophieren. Über ihre Heimat, den Osten der Republik. Über früher, als vieles besser war. Über Frauen. Und über das Leben. Und das ist ungeachtet der naturgemäß kammerspielartigen Inszenierung (der Titel erinnert nicht zufällig an Samuel Beckett) sehr sehenswert. Wer ein Faible für den “Tatortreiniger” und generell für skurrile, aber liebenswerte Figuren hat, kommt auf jeden Fall auf seine Kosten. Alle anderen sollten der Serie – die in der ARD-Mediathek zu sehen ist – zumindest mal einen Blick gönnen und bleiben vielleicht wegen der großartigen Schauspielleistungen hängen. Dieses so versteckte wie verschrobene Kleinod ist einfach warmherzig, tieftraurig und saukomisch.
8. How To Sell Drugs Online (Fast): Moritz Zimmermann (Maximilian Mundt) sitzt in einem Verhörraum und berichtet, wie und warum er dorthin gekommen ist. Zumindest erzählt er seine Version der Geschichte. Sie handelt von Liebeskummer, Geldsorgen, Familienproblemen und dem völlig irren Versuch, eine Karriere als Drogenhändler einzuschlagen. Mit seinem besten Kumpel Lenny (Danilo Kamperidis) gerät der eher harmlose Stubenhocker immer tiefer in einen Strudel aus Schwierigkeiten, falschen Entscheidungen und Gewalt. Dabei zuzusehen ist jedoch – ganz anders als etwa bei “Breaking Bad” – manchmal brüllend komisch. Und es ist vor allem niemals langweilig. Nach “Dark” und “Dogs Of Berlin” beweist Netflix zum dritten Mal innerhalb kurzer Zeit, wie qualitativ hochwertig deutsche Serien sein können. Und nach Mystery und Krimi-Drama deckt diese Coming-Of-Age-Comedy dabei souverän das dritte Genre ab. Die Protagonisten sind sympathische Verlierer, mit denen man einfach mitfiebert. Und ihre Gegenspieler werden verkörpert von Könnern wie Maren Kroymann und Bjarne Mädel.
7. Dark: Damit kommen wir zur erfolgreichsten deutschen Netflix-Serie – über kaum eine andere wurde in den vergangenen Monaten so viel und so ausführlich diskutiert. Und das ist auch nötig, denn was als düsteres Drama um einen verschwundenen Jungen beginnt, entwickelt sich spätestens in der dritten Staffel, die seit diesem Jahr zu sehen ist, zu einer derart komplexen und verwirrenden Zeitreise-Geschichte, dass sie kaum in wenige Worte zu fassen ist. Man muss einfach selbst erfahren, wie verschachtelt die unterschiedlichen Erzählebenen konstruiert werden, wie sich Zusammenhänge langsam erschließen und sich die innere Logik dieses etwas anderen Mehrteilers offenbart. Ich für meinen Teil kann sagen, dass ich mir noch nie etwas zum Gucken (ob Film oder Serie) derart erarbeiten musste. Tipp: auch beim Bingen vielleicht nach jeder Folge mal eine kurze Pause einlegen, um das Geschehen zu verarbeiten. Versprochen: Es lohnt sich. Ganz großes Kino (und das ohne Kino).
6. Years And Years: Eine echte Überraschung hält der Amazon-Prime-Bezahlsender Starzplay parat. Diese BBC-One-Familienserie erzählt aus dem Leben des Lyons-Clans, britischen Mittelständlern, deren eher tristes Dasein aus den Fugen gerät, als auch die restliche Welt ins Schlingern kommt. Nach dem Tod von Angela Merkel und der Wiederwahl Donald Trumps verändert sich die Gesellschaft zusehends. In Großbritannien macht die rechte Demagogin Vivienne Rook (Emma Thompson) von sich reden. Politische Debatten, aber auch Lebensentscheidungen und unterschiedliche Auffassungen angesichts des globalen Wandels entzweien die Familie zusehends. Wer aufgepasst hat, ahnt, dass diese Serie in einer glücklicherweise fiktiven Zeitlinie spielt. Lustig ist hier gar nichts, eher entspricht die Handlung der typisch englischen Ästhetik. Aber vor allem die erste und realistischer gestaltete Hälfte ist hochspannend, während es im zweiten Teil immer drastischer in Richtung Science Fiction geht. Stellt euch vor, die Produzenten von “Black Mirror” hätten “This Is Us” inszeniert – dann habt ihr eine grobe Vorstellung davon, was euch hier erwartet. Sicher nichts für jeden, aber unbedingt empfehlenswert.
5. Aus dem Tagebuch eines Uber-Fahrers: Ben (Kostja Ullmann) ist auf Hamburgs Straßen unterwegs – tagsüber verdingt er sich als Uber-Fahrer, nachts passt er auf fremde Häuser auf, denn einen festen Wohnsitz hat er nicht. Das Geld braucht er dringend, denn Ben wird Vater. Wobei er Nadja (Claudia Eisinger) ungefähr für den Zeitraum der Zeugung kennt – die beiden sind kein Paar. Das würde er allerdings gerne ändern, weil er inzwischen etwas für die werdende Mutter seines Kindes empfindet. Ablenkung von seinen emotionalen und monetären Problemen hat er im Job. Denn in der Hansestadt trifft er auf Querköpfe und Individualisten, auf neue Freunde und alte Feinde, auf gescheiterte Existenzen und getriebene Suchende. Und das ist teils erstaunlich lustig, vor allem aber immer interessant und bis in die Nebenrollen gut besetzt. Von der Nebenhandlung abgesehen, ist diese Joyn-Serie mehr eine Anthologie. Die Fahrgäste treten so kurz ins Leben des Protagonisten wie die Gaststars beim “Tatortreiniger” (den ich überraschend oft erwähne). Mit dessen skurrilem Humor, aber auch mit seiner gewissen Melancholie ist der “Uber-Fahrer” auch ganz gut zu vergleichen.
4. After Life: Nach dem Tod seiner Frau hadert der britische Lokaljournalist Tony (Ricky Gervais) mit dem Leben, mit seinen Mitmenschen, mit sich selbst. Immer den Notausgang Suizid in der Hinterhand, stößt er mit brutaler Ehrlichkeit alle vor den Kopf, die er trifft. Wer dachte, dass diese Story in der ersten Staffel auserzählt wurde, wird eines Besseren belehrt. Tatsächlich ist die Fortsetzung des Netflix-Erfolgs genau so traurig und lustig, so anrührend und bitterböse wie sein Auftakt. Wie fast immer spielt Gervais sich ein bisschen selbst, wie fast immer kennt man die Nebendarsteller aus seinen anderen Projekten. Und wie fast immer macht einen auch dieser Alleingang des ewigen Zynikers ein wenig zu einem besseren Menschen. Eine dritte Staffel ist bestätigt – auch wenn diese das Niveau halten sollte, wird es darüber hinaus eventuell etwas zuviel. “After Life” ist brillant, aber auch teils harter Tobak.
3. Cobra Kai: “Karate Kid” ist Filmkult der 80er, steht in einer Reihe mit “Zurück in die Zukunft” und “Indiana Jones”, mit den “Goonies” und den “Gremlins”, mit “E.T.” und den “Ghostbusters”. Die Geschichte des schmächtigen Schülers Daniel LaRusso (Ralph Macchio), der dank des alten Hausmeisters Mr. Miyagi (Pat Morita) zum Karatekämpfer wird, wurde vielfach zitiert und parodiert und ist ein prominenter Teil der Popkultur. Für manche ist sie aber auch die Geschichte seines Gegenspielers Johnny Lawrence (William Zabka). Und genau da setzt die Fortsetzung an, die 34 Jahre später zunächst als Serie im Bezahlangebot von YouTube und inzwischen auf Netflix zu sehen ist. Johnny ist geschieden und verarmt, schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch, hat keinen Kontakt zu seinem Sohn und ist insgesamt mit seinem Leben unzufrieden. Neidisch blickt er auf den Erfolg seines einstigen Feindes Daniel, der als zufriedener Familienvater mehrere Autohäuser betreibt. Als die beiden sich durch einen Zufall persönlich treffen, reift in Johnny der Wunsch, sein Leben zu verändern. Und so gründet er sein altes Dojo neu, das “Cobra Kai”… Die gleichnamige Serie ist ein Fest für alle, die die 80er erlebt haben und/oder lieben. Es gibt tausend Anspielungen auf die zugrunde liegende Filmreihe, aber auch andere Pop-Phänomene jenes Jahrzehnts. Alte Helden übernehmen ihre angestammten Rollen, neue Charaktere kommen hinzu. Und bei all dem ist die Story zu keiner Sekunde langweilig, treibt jede weitere Folge das Geschehen voran. Besonders großartig: der Rock-Soundtrack voller Klassiker und die latente Melancholie, die das Duell der gealterten Kontrahenten durchzieht.
2. The Boys: Die Jungs (und die Mädels) sind wieder in der Stadt: Die zweite Staffel der Amazon-Prime-Erfolgsserie setzt nahtlos dort an, wo uns die erste Season fassungslos zurückgelassen hat. Noch immer mühen sich Billy Butcher (Karl Urban), Hughie (Jack Quaid) und ihre Truppe, den sinisteren Großkonzern “Vought” in die Knie zu zwingen. Das undurchsichtige Unternehmen lässt nämlich auch nach dem unfreiwilligen Ableben ihrer Top-Managerin nicht von seinen Machenschaften ab. Erschwert wird das Unterfangen der zerstrittenen Guerillas nicht nur durch Hughies komplizierte Beziehung zu Annie (Erin Moriarty), sondern vor allem durch einige neue Figuren auf dem Schachbrett. So tritt die rassistische Superheldin Stormfront (Aya Cash) in das Leben von Homelander (Antony Starr). Selten hält eine Serie ein derart hohes Niveau – und zwar durchgehend in jeder Folge. Die Geschichte um ein halbes Dutzend vom Schicksal gebeutelter Gestalten, die dem Treiben angeblicher Streiter für das Gute auf die Schliche kommen, ist auch noch längst nicht fertig erzählt und bietet Überraschungen am laufenden Meter. Praktisch jede zweite Szene lässt die Zuschauer irritiert, entsetzt oder amüsiert auf den Fernseher starren. Mehr an schwarzem Humor und krasser Brutalität, an beißendem Zynismus und bitterer Gesellschaftskritik, an intelligenten Anspielungen und absurden Situationen kann man kaum in eine Comic-Verfilmung packen.
1. The Mandalorian: Rastlos und auf der Suche durchstreift er das All: Der Mandalorianer (Pedro Pascal), der es sich zur Aufgabe gemacht hat, sich um ein geheimnisvolles Kind mit seltsamen Kräften zu kümmern, schlägt sich noch immer zwischen den Überresten des Sternenkriegs und einer skrupellosen galaktischen Unterwelt durch. Er hat geschworen, das eigenartige (eigentlich 50 Jahre alte) Baby zu dessen “Leuten” zurückzubringen. Mehr denn je setzt Showrunner Jon Favreau in der zweiten Staffel des Serienhits auf klassische Westernelemente. Pascals Kopfgeldjäger ist der galaktische Nachfolger von Clint Eastwood oder Lee Van Cleef: ein einsamer Reiter mit einer Mission, der mürrisch auf der richtigen Seite kämpft, ehe er weiter zieht. Die Fortsetzung der völlig zurecht erfolgreichen Disney+-Serie macht praktisch alles richtig. Denn sie setzt auf genau jene Action- und Abenteuerelemente, die die Reise des maskierten Einzelkämpfers so unterhaltsam machen. Favreau hat einfach ein Händchen für Details und als Star-Wars-Fan offensichtlich großen Spaß an Anspielungen und (heimlichen) Gastauftritten. Apropos: Was diese angeht, definiert die zweite Staffel den Begriff Fan-Service völlig neu. Das ist der Weg!