Pro und contra “Star Trek: Picard”: gute Geschichte oder zu wenig Tempo?
Das war’s dann mit der ersten Staffel von “Star Trek: Picard”. Und wie immer bei einer neuen Star-Trek-Serie (oder einem -Kinofilm) gehen die Meinungen auseinander. Auch bei uns. Daher gibt’s eine Pro- und Contra-Kritik zu Staffel eins:
Markus: Was zehn Folgen lang durchaus getragen und besonnen erzählt wurde, endete mit einigem an Getöse – aber auch mit reichlich Emotionen: Mir hat “Picard” gefallen. Und damit hatte ich gar nicht unbedingt gerechnet, denn “Discovery” hatte trotz anfänglicher tapferer Begeisterung durchaus das Potential, mir den Spaß an Star Trek komplett zu nehmen. Es war nicht zu düster, auch nicht zu modern oder gar zu experimentell. Es war einfach schlecht und zwar in einem Punkt, der mir immer sehr wichtig ist: Das Drehbuch war komplett vergurkt.
Ich bin ein Geschichtenerzähler, privat wie beruflich (dann natürlich der Wahrheit verhaftet), ich mag gute Geschichten und ich mag, wenn jemand Geschichten gut erzählt. Die Story ist für mich das A und O, auch und vor allem, wenn es um Filme und Serien geht. Mit dem, was erzählt wird, steht und fällt, wie es erzählt wird. Drehbücher schreiben ist eine Kunst. Und wie alle Künste beherrschen sie nur wahre Meister.
Die Geschichte in “Picard” ist natürlich die des Titelhelden – und sie ist sehr klassisch. Noch einmal zieht es den müden Veteranen in die Ferne, ein letztes Mal tut er das Richtige, um anderen zu helfen. Das holt mich ab, das hat mich unter anderem bei “Logan” begeistert (wo Patrick Stewart eventuell auch Feuer für diese Idee gefangen hat), das weckt automatisch mein Interesse. Zumal die Vorgaben für Jean-Luc Picard ganz andere sind als für vergleichbare Schlachtrösser wie den späten Clint Eastwood: Der vielleicht beliebteste Captain des Franchise war immer ein Mann der Worte, ein kluger Diplomat, der nur im Notfall zu physischer Gewalt greift. Das passt gut zu einem Hauptdarsteller, der auf die 80 zugeht und aller beneidenswerten Fitness zum Trotz in jüngster Zeit durchaus entsprechend wirkt. Das passt zu einem Charakter und dem Mann, der ihn verkörpert, die beide das sind, was man “Respektsperson” nennt.
Und so ist “Picard” über weite Strecken kein besonders atemberaubendes Weltraum-Abenteuer. Ausführlich und tatsächlich im ersten Gang wird von der letzten Reise des Admirals erzählt, von seiner Mission, das bislang unbekannte “Volk” seines betrauerten Freundes Data zu retten, und davon, wie er unterwegs alte Weggefährten trifft und die ungewöhnlichste, weil wildeste Crew der Star-Trek-Geschichte zusammensammelt.
Diese Geschichte ist gut, sie ist sogar recht originell (gemessen an meinen Erwartungen), sie nimmt sich Zeit. Stewart hatte angekündigt, die Serie sei eigentlich ein sehr, sehr langer Film. Und ich kann das bestätigen: Guckt sie in großen Blöcken, dann wirkt sie ganz anders. (Schade, dass Amazon Prime ausgerechnet in diesem Fall allen Binge-Freunden nicht entgegenkam.) Sicher, handwerklich gibt es einiges zu bemängeln, ein guter Drehbuch-Doktor würde an vielen Stellen straffen und an anderen manchen Handlungsbogen auserzählen. Im Vergleich zum DISCO-Inferno sind das jedoch Details.
Denn “Picard” gelingen zwei Kunststücke, die ich nicht erwartet hatte. Zum einen macht es ein Universum lebendiger, das bislang recht steril wirkte. Seien wir ehrlich: Allen Enzyklopädien und aller Sekundärliteratur zum Trotz sind ausgerechnet die beiden ältesten und erfolgreichsten SciFi-Storys aller Zeiten nicht komplett auserzählt. (Wer das nicht glaubt, möge mir mal die Hintergrundgeschichte zum namenlosen Präsidenten in “Star Trek VI: Das unentdeckte Land” erläutern oder mir erklären, welchen gesellschaftlichen Status Droiden in Star Wars eigentlich haben.) Nun aber sehen wir nicht nur eine Welt, die glaubhaft viele Jahre nach “The Next Generation” spielt, sondern vor allem endlich nicht ausschließlich auf Sternenschiffbrücken oder in Empfangshallen. Und die nicht immer sauber und kontrolliert ist, sondern auch mal kaputt, verdreckt und moralisch diskutabel.
Das andere Phänomen: Star Wars war für mich immer was fürs Herz, sprach Emotionen an, während Star Trek mehr das Hirn stimulierte. “Picard” allerdings ist an vielen Stellen überraschend emotional, sogar sentimental und melancholisch. Vor allem der bunt zusammengewürfelte Haufen, der den Alten auf seiner Odyssee begleitet, hat es mir angetan. Da wurden nicht die Besten der Besten der Sternenflotte für eine geplante Mission ausgesucht, da stolpern problembeladene Außenseiter zusammen in ein Abenteuer. Deshalb sei ihnen die Pizza-Pause zwischendurch gegönnt.
Ich jedenfalls freue mich darauf, dem nun runderneuerten Greis und seinen neuen Freunden dabei zuzusehen, wie sie… vielleicht nicht unbedingt Geschichte schreiben – aber ganz sicher ihre Geschichte.
Kirsten: Wie sehr hatte ich mich auf “Picard” gefreut. Vor allem nach “Discovery”. Nein, nicht falsch verstehen, ich mag “Discovery”. Ich mag das Dunkle durchaus, aber es hatte von Anfang an nicht DAS Star-Trek-Gefühl für mich. Klar, dass man das nicht wie in den 80ern mit blassrosafarbenen Teppichen und bahamabeigefarbenen Schiebetüren machen würde. Mir fehlte eher das blassrosafarbene und das bahamabeigefarbene Lebensgefühl. Kein Krieg mehr, kein Streit mehr, alles wird diplomatisch gelöst. Das war ja mal die Grundidee von Star Trek. Davon sieht man in “Discovery” herzlich wenig. Und deshalb hatte ich so große Hoffnungen in “Picard” gesetzt. Wer, wenn nicht Picard, der große Diplomat, der große Redner, wäre in der Lage, uns 2020 ein bisschen Hoffnung zu machen auf eine bessere Welt. Eine Welt ohne Rechtsextremismus, ohne Diskriminierung, ohne Gender-Debatten. Einfach, weil es keine Rolle mehr spielt in einer Zukunft, die sich Gene Roddenberry irgendwann mal zusammenfantasiert hat.
Und ich war wirklich geduldig. Ich habe der Serie vier Folgen gelassen, ehe ich erstmals für mich feststellte: Das ist zu wenig. Es passierte genau nichts, die Handlung ging so langsam voran, dass man Stewart noch beim Filmen in aller Seelenruhe einen selbstgestrickten Pullover auf den Leib hätte schneidern können. Ich verstand irgendwann gar nicht mehr, wo die Serie hin will. Die Grundidee war mir schon klar, aber ich sah die Relevanz nicht. Ein 94 Jahre alter Kapitän kämpft allein gegen die Auslöschung der “synths”, weil die Föderation knietief in Scheiße steckt, weil sie unterwandert wurde vom Tal Shiar. Noch ein Geheimbund? Warum? Und dann, endlich, als es endlich mal losging mit ein wenig Action und temporeichem Erzählen: wurde erst mal eine Stunde lang Pizza gegessen mit alten Freunden. Ich bin relativ froh, dass ich kein amerikanischer und damit zahlender Star-Trek-Kunde war, sondern das hier mehr oder weniger kostenfrei (also eben nicht extra für die Serie bezahlt) auf Amazon Prime gucken konnte. Und so ging Freitag um Freitag ins Land. Schließlich hatte ich schon gar keine Lust mehr, einzuschalten. Dann der hilfreiche Tipp von Markus, dass das eigentlich alles ein langer Film sei und man das am Stück gucken müsse. Ähm, ja, also, wenn das der Anspruch einer horizontal erzählten Serie ist, dass man neuerdings sogar quasi gezwungen wird, alles am Stück zu gucken, damit man das Gefühl spürt, dann bin ich wohl nicht gemacht für diese Serie.
Es gibt natürlich auch die zwei positiven Seiten: Jeri Ryan und Patrick Stewart. Wegen ihnen bin ich drangeblieben, habe mich durchgekämpft bis zum, ja, bitteren Ende. Und das Finale war eine derartige Enttäuschung, dass ich es kaum in Worte fassen kann. Ich las danach Tweets und stellte fest, dass ich offenbar der einzige Mensch auf Erden bin, der es furchtbar fand. Möchte man uns ernsthaft erzählen, dass Picard jetzt irgendwie positronisch durch die Gegend läuft, quasi als moralinsaure Essenz aus zehn Folgen? Schaut mal, so schlimm ist das gar nicht mit dem künstlichen Gehirn. Am schlimmsten fand ich jedoch, dass die zehn Folgen in das mündeten, was Picard von Anfang an verhindern wollte: künstliche Intelligenz als Bedrohung für Humanoide. Und dass diese selbsterfüllende Prophezeiung nicht wahr wurde, lag dann nur an Picard und seinem Einschreiten? Die Geschichte ist doch damit hinfällig. Hätte er sich von Anfang an zurückgehalten, wäre letztlich gar nichts passiert. Oder?
Was mir ebenfalls gar nicht gefallen hat: keine Referenz zu weiteren alten Kollegen. Im ganz Speziellen fehlte mir hier Beverly Crusher. Wie kann es sein, dass jemand, der so eng befreundet war mit diesem Mann, nicht mal ERWÄHNT wird? Und sie noch dazu seine Ärztin war, die das Iromodische Syndrom seinerzeit festgestellt hat? Das ist mir zu einfach gelöst, zu wenig durchdacht, zu wenig liebevoll umgesetzt.
Insgesamt fühlt sich die ganze Serie leider an wie vier Stunden Aufenthalt im Gesellschaftsraum eines Seniorenheims, wo beim friedvollen Ticken einer Uhr und dem Kratzen des Bleistifts auf Papier Kreuzworträtsel gelöst, bei schrill klappernden Nadeln Wollsocken für die Enkel gestrickt und Teetassen zittrig auf Unterteller gestellt werden. Irgendwie riecht es ein bisschen muffig. Irgendjemand summt leise ein altes Volkslied und träumt von gestern. Und währenddessen schiebt eine Pflegerin einen Servierwagen mit trockenem Streuselkuchen rein, tätschelt Schultern und fährt Omma Gertrud, die geistesabwesend, aber sehnsuchtsvoll stundenlang auf die vielbefahrene Kreuzung blickte, in ihrem Rollstuhl zum runden Esstisch, um ihr kleingedrückten Kuchen in den Mund zu fahren. Omma Gertrud wird dann staubig husten und etwas Kamillentee trinken, damit sie die trockenen Streusel besser schlucken kann. Und dann ist auch schon Abendessenzeit. Vielleicht gibt es Pizza aus dem Ofen im Garten. Oder auch nicht.Und dann: Gute Nacht. Es ist der trübe Wartesaal ohne Hoffnung. Ein Ende ist in Sicht. Nur wann es kommt, das weiß hier keiner. Man riecht es schon, man kann es greifen, aber noch nicht festhalten. Und morgen wieder alles von vorn.
Hoffen wir, dass wir in Staffel zwei etwas mehr von der vielbefahrenen Kreuzung sehen.