Vom “bekloppten Proll” zum “soften Familienvater”

Vom “bekloppten Proll” zum “soften Familienvater”

Josef Heynert. (Foto: Ilan Hamra)

„Ich habe jetzt ein Drehbuch für den nächsten Rostocker Polizeiruf bekommen. Aber ansonsten passiert gerade gar nichts. Es wird nicht gedreht, es wird auch nicht gecastet. Ich weiß nicht, wann ich so lange so wenig mit meinen Agenten telefoniert habe. Das waren jetzt vielleicht drei oder vier Telefonate in zwei Monaten.” Josef Heynert klingt entspannt, als er diese Worte sagt.

Das Gespräch findet, passend in diesen Tagen, mitten in der Corona-Pandemie, telefonisch statt. Auf die Frage, wie es ihm im Moment geht, stellt der Schauspieler direkt die Gegenfrage: “Meinst du wegen Corona?” Ja. Die Film- und Fernsehbranche liegt derzeit brach, Dreharbeiten wurden abgebrochen oder haben gar nicht erst angefangen. Viele Schauspieler haben Verdienstausfälle, die sie kaum kompensieren können. Es ist ein kompliziertes Konstrukt, in dem Schauspieler arbeiten. Sie tun dies auf Lohnsteuerkarte für die Zeit der Dreharbeiten, erreichen damit aber kaum die nötige Zahl an sozialversicherungspflichtigen (Dreh-)Tagen, um Anspruch auf Arbeitslosengeld zu haben. Weil sie aber nicht selbstständig sein dürfen, da sie weisungsgebunden arbeiten, dürfen sie auch nicht Mitglied der Künstlersozialkasse werden. Ein Teufelskreis. “Um Anspruch auf Arbeitslosengeld zu haben, müsste ich 180 Tage sozialversicherungspflichtig im Jahr arbeiten. Das ist utopisch. Ich kenne niemanden, der das mit Drehtagen schafft.”

Ich wusste auch: Falls mein Gesicht keine Sau mehr haben will, muss ich eine Weile durchhalten. | Josef Heynert über Existenzsorgen

Doch Heynert ist vorbereitet und hat auch ein wenig Glück. “Ich bin seit 20 Jahren Freiberufler. Ich bin darauf eingestellt, längere Zeit nicht zu arbeiten, denn nicht immer hat man es in der eigenen Hand, wie man jetzt leider sieht.” Dann erzählt der 43-Jährige, den viele als Volker Thiesler im Rostocker Polizeiruf 11o in der ARD oder als Ella Schöns Freund Jannis im ZDF kennen dürften, dass er diese bittere Erfahrung in der Vergangenheit bereits einmal gemacht hat. “Ich war auch schon in der Situation, dass es wirklich prekär wurde. Das wollte ich nie wieder. Ich wusste auch: Falls mein Gesicht keine Sau mehr haben will, muss ich eine Weile durchhalten. Ich bin also vorbereitet.”

Doch der Charakterkopf hat auch Glück: Die wichtigen Dreharbeiten dieses Jahr liegen alle im Spätsommer und im Herbst. “Natürlich hoffe ich sehr, dass das alles stattfinden kann. Aber klar: Wenn das jetzt alles abgesagt würde, wird es auch für mich irgendwann haarig werden. Aber alle gehen davon aus, dass es – vielleicht unter anderen Bedingungen – stattfinden kann.” Seine Lebensgefährtin ist ebenfalls Schauspielerin, festes Mitglied des Ensembles am Dresdner Staatsschauspiel. “Mir ist klar, dass wir beide in einer luxuriösen Situation sind. Ich weiß aber auch genauso, dass es sehr viele Kollegen gibt, die von der Hand in den Mund leben und gerade jetzt unter Druck geraten. Drehtage fallen aus, Stücke werden nicht mehr produziert. Es ist alles tot, alles fällt weg. Wenn ich jetzt finanziell richtig auf die Bremse gehe, kann ich das ein Jahr lang durchhalten. Das habe ich mir in 20 Jahren erarbeitet. Das ist ein absoluter Luxus, den haben nicht viele.  Dann ist aber auch bei mir Sense.” Heynert verweist auf die Gewerkschaft BFFS (Bundesverband Schauspiel e. v.), die seit 2006 die Interessen aller Schauspieler vertritt.” 500 Schauspieler stehen in der Öffentlichkeit, die restlichen ca. 15.000 Kollegen eben nicht. Und sie verdienen eben auch deutlich weniger, haben keine Rücklagen.”

Und während man konzentriert auf die nächste Szene hinarbeitet, fummeln sieben Leute an einem herum. Es betrifft alles: Kamera-Assistenz, Make-Up, Kostüm, Licht, Ton. | Josef Heynert über Corona-Dreharbeiten

Dass es auch kreative Lösungen gibt, hat zuletzt die Produktion der Telenovela “Sturm der Liebe” gezeigt: Hier wird mit 1,5 Meter Abstand gedreht. Das hatte zur Folge das einige Bücher umgeschrieben werden mussten, am Set strikte Regeln und Vorgaben herrschen. Kann sich der 43-Jährige das auch für sich und seine Dreharbeiten vorstellen? “Ich glaube schon, dass man die Szenen so spielen kann, dass man sich nicht zu nahe kommt, aber ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wie man die Abstandsregeln am Set konsequent umsetzen kann. Die ganze Produktion hängt daran. Und während man sich auf den nächsten Take konzentriert, fummeln sieben Leute an einem herum. Es betrifft alles: Kameraassistenz, Make-Up, Kostüm, Licht, Ton. Alle stehen in einem Umkreis von einem halben Meter oder eben noch näher um einen herum. Die Komfortzone eines Schauspielers ist minimalst. Und mal unabhängig davon: Wenn wir jetzt was drehen, was in Deutschland spielt.. müsste man da Corona nicht sogar mit einbauen?”

Das ist vielleicht dieses ominöse Talent, das Gespür dafür, dass etwas funktioniert. | Josef Heynert über die Schauspielerei

Auch nach 20 Jahren im Beruf hört man Heynert bei jedem Wort an, dass er immer noch Spaß hat an dem, was er tut. Dabei fing alles mit einem Gefallen an. Sein bester Kumpel Uwe triezte ihn, bei der Theater-AG mitzumachen. “Er wollte nicht der einzige Kerl sein. Und mich hat es gereizt, weil man da wirklich der Hahn im Korb war.” Er fühlte sich wohl, und er blieb. Bis es bei einer Aufführung eines Improvisations-Theaters “klick” machte. “Ich habe gemerkt, dass ich das kann. Ich stand auf einer Bühne, hatte einen Kollegen, mit dem das super klappte. 250 Leute im Saal lagen lachend unter den Sitzen, und ich dachte: Wie geil ist das denn?” Der Suchtfaktor war enorm, Josef Heynert war angefixt. “Das ist vielleicht dieses ominöse Talent, das Gespür dafür, dass etwas funktioniert. Ich habe auch während des Studiums immer gesagt, dass ich auf die Bühne will und nicht ins Fernsehen. Das ist dann doch anders gekommen”, sagt er lachend. Theater hat er zuletzt 2015 gespielt, direkt nach seinem Studium (1996-2000) war er Dauergast im Hamburger Schauspielhaus und im Thalia Theater Hamburg. Und spielte auch drei Jahre an kleinen Privattheatern. “Das muss man sich allerdings leisten können, wenn man eigentlich drehen könnte. Das rechnet sich leider wirklich nicht. Und mit Kind und Partnerin, die ebenfalls am Theater ist, geht es zeitlich sowieso nicht. Das Theater- und Ensemble-Leben ist für das Familiäre wirklich eine Herausforderung und kann brutal werden.”

Der Polizeiruf ist ein absolutes Geschenk. | Josef Heynert über den “Polizeiruf 110”

Doch nun ist er beim Fernsehen und weiß das zu schätzen. “Der Polizeiruf ist ein absolutes Geschenk”, sagt er. “Niemand wusste das oder konnte es ahnen, als wir 2009 angefangen haben, dass das so eine Reise werden würde.” Damit meint er gar nicht seine Figur, den Volker Thiesler, “die im ständigen Wandel ist, vom Zotteligen aus der Drogenabteilung zum ruhigen Kripo-Beamten”, sondern den gesamten Arbeitsprozess an den Filmen. Die Drehbücher werden beispielsweise nicht nur gemeinsam gelesen, sondern ebenso wie die Themen auch besprochen. Da wird weit im Voraus gemeinsam überlegt, wo der Weg hingeht, jeder wirft in den Raum, was ihm auf- oder eingefallen ist, nicht nur für die eigene Figur. “Wenn ich denke, dass dieser oder jener Satz nicht zu König passt, oder dass Bukow in einer Szene nicht so gut platziert wirkt, sage ich es. Dass das möglich ist, ist eine absolute Rarität. Und wir ziehen das über den gesamten Produktionszeitraum durch.” Diese Herangehensweise, das gemeinsame Erarbeiten des Films, führt jedoch genau dazu, dass der Polizeiruf das ist, was er ist: authentisch, natürlich, nie überkonstruiert, es gibt fast nie gestelzte Dialoge, die niemand im echten Leben jemals so sprechen würde. “Für Kollegen, die nur für diesen einen Film dabei sind, wirkt das mitunter überraschend und vielleicht auch eigenartig, wie groß einige Dinge diskutiert werden.”

Wir lieben es alle, in Rostock zu sein. | Josef Heynert über Dreharbeiten für den “Polizeiruf 110”

Hinzu kommen die ausnehmend guten Schauspieler, die am Polizeiruf mitwirken. Heynert weiß selbst, wann für ihn die eigene oder eine andere Leistung gut ist: “Wenn ich komplett vergesse, dass die Person gerade vorgibt, etwas zu sein. Wenn ich nicht mehr das Gefühl habe, dass ich einem Kollegen bei der Arbeit zuschaue, dann ist es perfekt.” Nicht nur er ist gern an der Ostsee: “Wir sind die Gäng, wir nennen uns auch schon so. Wir lieben es alle, in Rostock zu sein. Und jeder ist traurig, wenn er keine Außenszene hat”, sagt er lachend. Meistens wird für den Polizeiruf nur eine Woche in Rostock gedreht, das Revier steht in Hamburg. “Die Filme leben schon von Teamarbeit. Bei Eoin Moore (Schöpfer des Rostocker Polizeirufs, Anm. d. Red.) ist es  zum Glück immer viel Teamarbeit, heißt, auch Thiesler, Pöschel und Röder haben ordentlich zu tun.” Die Besonderheit, einen Handlungsstrang entwickeln zu dürfen, kommt noch hinzu. “Es war wunderbar, die Affäre Thiesler/Vivien über mehrere Folgen erzählen zu dürfen. Das bringt eine besondere Tiefe rein.”

Josef Heynert. (Foto: Ilan Hamra)

Doch natürlich ist Krimi vor allem eins: harte Arbeit. “Wir haben eben eine Diskrepanz zwischen der Authentizität des Vorgangs und der Fiktion. Wir erzählen letztlich einen Krimi und müssen bestimmte Vorgänge sichtbar machen. Zwei Drittel des Films müssen ein Art Zusammenfassung sein, damit ist dann schon reichlich Zeit weg. Aber wir müssen ja auch noch den Krimiteil bedienen. Das ist unser Kampf und das Anstrengende daran.” Natürlich wird auch der Polizeiruf Rostock nicht chronologisch so gedreht, wie es im Buch steht. Sondern eben: eine Woche Außenaufnahmen, dann mehrere Tage nacheinander alle Szenen im Revier und so weiter. “Da darf man natürlich nicht das Gespür dafür verlieren, ob man gerade in Minute 7 oder 57 ist. Wie viel wissen, wie viel nicht. Da ständig geistig wach zu sein, das ist die Herausforderung.” Und manchmal verändern sich vor Ort am Set auch noch einzelne Wörter oder Sätze, es ist konstante Dynamik im Team.

Auftreten, Arie singen, abtreten. Das macht Laune. | Josef Heynert über seine Rolle in “Die Kanzlei”

Und dann sind da neben Volker Thiesler noch die anderen Figuren, die Heynert im deutschen Fernsehen regelmäßig verkörpern darf. Beispielsweise der Streifenpolizist Gerd Wohlers in der ARD-Serie “Die Kanzlei”. Dort sieht man ihn regel-, aber nicht übermäßig. “Das ist besonders reizvoll, weil ich in dieser Rolle eben meistens nur einen Auftritt habe. Ich habe diese ein, zwei Szenen und kann auf den Putz hauen. Das ist keine filigrane Psychologie, das macht einfach Spaß. Da kommt der grantelige Hamburg-Bulle um die Ecke und faltet mal zwei Verdächtige zusammen. Das macht Laune. Auftreten, Arie singen, abtreten.“

Dass man so eine Variante des Autismus zeigen kann, das ist ein toller schauspielerischer Vorgang. | Josef Heynert über “Ella Schön”

Und dann gibt es da Jannis, den On-Off-Lover von Ella Schön, die Annette Frier im ZDF verkörpert. Mit der Rolle geht er jetzt ins vierte Jahr und hat für die Kollegin nichts als warme Worte: “Annette ist eine absolute Komödiantin, Vollblut, sie spürt das Timing und die Pointe einfach, ist eine geniale Entertainerin, kann so viel aus dem Stegreif. Allerdings muss sie genau das für die Ella Schön eben abstellen und sich die Seele aus dem Leib reißen, um diese Autistin Ella Schön zu spielen.” Heynert ist Friers Konterpart, er erlebt nicht nur die Kollegen, sondern auch das Thema als fordernd, aber auch wichtig: “Dass man mit dieser Kunstfigur Ella Schön eine Variante des Autismus zeigen kann, dass man sich so an einem nicht vorhersehbaren Menschen sozusagen abarbeiten kann, das ist ein toller schauspielerischer Vorgang, der mir große Freude bereitet.”

Trotz der tollen Figuren hat auch Josef Heynert noch Träume. “Ach, ich habe eine Weile auch Kinofilme gedreht. Da hat man Zeit, da kann man mit einer anderen Ruhe erzählen und noch mal ganz andere Figuren spielen. Das würde ich gerne noch mal machen. Und dann.. ich weiß, dass ich komisch bin und sein kann. Ich bin ja inzwischen in so eine Familienvater-Ebene gerückt. Früher war ich der dusselige Kleinkriminelle, der bekloppte Proll, jetzt der Papa. Aber vielleicht wäre so was ganz anderes, Komisches, auch noch mal witzig.

Wir drücken die Daumen!
Vielen Dank für das Gespräch!

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