Tatort Dortmund: Reise durchs Labyrinth
Nachdem ich im März und April den Rostocker Polizeiruf noch einmal komplett durchgeguckt hatte und sich völlig neue Gedanken erschlossen, war das Thema für mich erst einmal abgehakt. Es ist sowieso keine der anderen deutschen Krimi-Reihen besser als dieser. Manchmal passiert es, dass einer der Dortmunder Tatorte Rostock abhängt. Das liegt dann aber meistens nur an der Erzähldichte, nicht (mehr) am Team. Es gab eine Zeit, in der meiner Meinung nach beide Teams gleichauf lagen. Doch dann passierte etwas, das Chefautor Jürgen Werner vielleicht nicht so ganz berechnet hatte. Die Charaktere Martina Bönisch und Peter Faber sind manchmal mehr und manchmal weniger elegant aus ihrem Rahmen geglitten und haben ein Eigenleben entwickelt. Und während Werner und Redaktion mit einem Fernglas auf einem Hügel standen, galoppierten die beiden davon. Sie trugen beide einen Rucksack mit der Aufschrift “Chemie” oder wahlweise “sexual tension”. Und auch, wenn das Dortmunder Grau, das, was man in Rostock wie in Dortmund gerne erzählt, die Geschichten der kleinen Leute, maßgeblich dazu beigetragen hat, dass sich in Dortmund ein sehenswerter Sonntagabendkrimi etablieren konnte, waren es doch die Kommissare, die dem Grau ein wenig Farbe gaben. Nennen wir es ein euphorisches Hellgrau. Martina Bönisch, die ihre Einsamkeit, ihr Scheitern und ihre Ängste mittels Callboys, Affären und Schroffheit kompensiert, findet Peter Faber. Mitten in einem Getümmel, das vor lauter Grau fast unsichtbar ist. Da stand er, dunkelgrau schimmernd, und gab ihr Halt. Jörg Hartmann und Anna Schudt haben diesen beiden Charakteren gegeben, was sie offensichtlich weder haben sollten noch durften. Doch niemand hat ihnen Einhalt geboten. Und nun steckt man, nach 16 Filmen, in einer Art Zwischenwelt, aus der man weder durch Auflösung des Knotens (will they) noch durch Verdickung des Knotens (won’t they) herauskommt. Das macht es dann doch wieder spannend, auch wenn es tatsächlich so wirkt, als habe weder die Redaktion noch die Autorenschaft eine Idee, wo man mit den beiden überhaupt noch hin will. Was will man erzählen, wie will man es erzählen, ohne, dass sie sich zu nahe kommen, aber auch ohne, dass sie zu weit auseinanderdriften? Spannend genug für mich, um noch einmal alle 16 bisher gesendeten Filme zu schauen – ich inkludiere hier bewusst “Das Team”, denn hier haben Hartmann und Schudt herrlichst improvisiert, sicherlich auch jenseits der erlaubten charakterlichen Grenzen.
#1: Alter Ego
Bevor ich den Film startete, wusste ich nicht mehr, ob ich ihn damals bei der Erstausstrahlung gesehen hatte. Doch nach den ersten drei Minuten erinnerte ich mich, dass ich nicht nur die Szenen bereits kannte, sondern auch genau das Gleiche dachte und fühlte wie damals: Warum steigt man mit einer Sexszene ein? Warum zur Hölle beginnt man einen brandneuen Tatort aus einer neuen Stadt mit einem neuen Team mit einer Sexszene? Verwirrend für mich, damals wie heute (was verwunderlich ist, da ich die Charaktere inzwischen ja kenne), dass uns noch keiner der Kommissare vorgestellt wurde. Damals dachte ich erst, diese Szene ist der Einstieg in die Mord-Handlung und die beiden Liebenden seien irgendwie in die Tat verwickelt. Ich erinnere mich, dass ich zwar vorher über die neuen Kommissare gelesen hatte, aber so ganz genau waren mir die Gesichter noch kein Begriff – nur das von Jörg Hartmann. Selbst Anna Schudt war mir nicht ganz vertraut, wobei sich mir dann so halb aus dem Zusammenhang des Telefonates am nächsten Morgen erschloss, dass zumindest der junge Herr Polizist sein könnte. Aylin Tezel als Nora sah man jedoch schon während der Sexszene kein einziges Mal deutlich. Und als Kossik am Telefon von Bönisch gefragt wird, wo Nora sei und er antwortete, dass er das nicht wisse, ging ich felsenfest davon aus, dass die Dame im Bett hinter ihm sicher nicht Nora ist. Und genau den gleichen Gedankengang hatte ich nun beim erneuten Gucken wieder. Den Parallelschnitt zwischen Koitus Kossik/Dalay und Exitus Kai Schiplock fand ich übrigens ganz gelungen, auch wenn man das 2020 vielleicht SO nicht mehr machen würde, dafür waren die Schnitte ein wenig zu schnell. Soweit die ersten Eindrücke der ersten paar Minuten. Ein weiterer Gedanke, nachdem meine jüngste Erinnerung ja eigentlich Film Nummer 16, “Monster”, ist: “Scheiße, sehen die alle jung und unverbraucht aus.” Was mir ziemlich auf den Nerv ging: die Kameraführung. Neeeeein, ich mag es nicht, wenn es dauernd wackelt, und nein, ich fühle mich dann auch nicht noch näher dran an der Handlung, maximal näher an der Kloschüssel.
Kurz zum Plot: Der homosexuelle Student Kai Schiplock wird sehr tot und sehr nackt und mit Desinfektionsmittel abgesprüht in seiner Wohnung aufgefunden. Erste Spuren weisen auf ein Eifersuchtsdrama hin, da das Mordopfer für seinen lockeren Lebensstil bekannt war. Als erster Hauptverdächtiger gilt Schiplocks Ex-Freund Lars Bremer.
Und dann Auftritt Peter Faber: Gedankenverloren steht er auf dem Dach seiner alten Schule und schaut mit undurchdringlichem Blick herunter auf den Schulhof. Er sieht nicht so aus, als ob er springen will, aber er sieht auch nicht so richtig danach aus, als ob er das nicht will. Der Zuschauer wird gleich in der ersten Szene mit Faber umfassend bedient: Aperitiv, Hors d’Oeuvre, erster Gang, zweiter Gang, Zwischengang, dritter Gang, Zwischengang, Nachspeise, Käse, Wein. Der Mann ist einfach durchgedreht. “Alles verändert sich”, entgegnet ihm der genervte Hausmeister, “das ist so. Und das bleibt so.” Dann fragt er Faber, was er denn da überhaupt mache. “Bisschen in der Vergangenheit stöbern”, meint der. “Dann machen Sie das im Museum.” Faber gibt sich geschlagen und in seiner nächsten Szene am Tatort als komplettes Arschloch, als er nicht für eine Sekunde in der Lage ist, seinen neuen Kollegen Kossik anzuschauen. Kein Blickkontakt. Kossik ist angekotzt und wirkt ohnehin leicht reizbar. Und das nach DER Nacht, wer’s verstehen will…
Der Eindruck von Kossik verstärkt sich im Laufe des Films. Er war mir schon damals unsympathisch aus dem Grund, dass ich mich in seine emotionale Lage nicht hineinversetzen konnte und es auch jetzt nicht kann. Ja, Faber ist ein Arschloch, aber wer sich so leicht vom neuen Chef provozieren lässt, sollte vielleicht mal einen Kurs in “anger management” belegen. Er fährt viel zu leicht aus der Haut. Aber natürlich sollen wir als Zuschauer verstehen, dass das jetzt alles anstrengend wird mit dem neuen Team, weil der Chef so kaputt ist. Da ist Kossik als Spielfigur optimal, als Antagonist zu Faber, als Contra. Während Bönisch fleißig weiblich versucht, zu vermitteln, wirkt Kossiks Konflikt mit Faber zu konstruiert, weil zu schnell eskaliert und deshalb insgesamt zu massiv. Dass Bönisch indes auch sardonisch mit Faber umgehen kann, beweist sie in einer Vier-Augen-Szene, als sie ihm vorschlägt, es vielleicht mal mit zwei statt nur einer Tablette Antidepressivum zu versuchen.
Aylin Tezel sieht übrigens aus, als wäre sie 12. Dass sie eigentlich kein Interesse am Kollegen Kossik hat, nach dem One-Night-Stand, sieht übrigens ein Blinder mit einem Krückstock. Nur Kossik nicht. Der ist verliebt und blind, taub und dumm.
Am Tatort dann auch gleich ein erster Einblick in Fabers Art der Ermittlung. Er spricht in der ersten Person, als wäre er der Täter. “Deswegen muss ich nachbessern”, sagt er, als er den nicht tödlichen Messerstich nachspielt. “Sie?”, fragen Kossik und Gerichtsmediziner Jonas Zander unisono. “Ja, wer sonst?”, entgegnet Faber, als er in die verwirrten Gesichter blickt. Das kriegt Bönisch später besser hin als die Kollegen. Erst will sie nicht mitspielen, meint, sie würde das auf ihre Art machen. Doch dann fordert er sie heraus, sagt, dass sie das wohl besser könne, und sie lässt sich darauf ein. Durchaus ironisch hierbei ist das wiederholte Erwähnen des Nacktseins, der Leidenschaft, des Sichkennens, der Liebe. “Ich wollte dich nackt sehen, von Anfang an”, sagt Faber und meint damit vielleicht nicht nur das Opfer. Bönisch geht bis zu einem gewissen Punkt mit, dann steigt sie aus. Aber das macht hier schon Lust auf viel mehr.
Hat übrigens irgendjemand verstanden, wieso man diesen Nebenplot der fundamentalen, homophoben Christen noch einarbeiten musste? Zerstreuung?
Die zwei schönsten Sätze des Films fallen völlig unabhängig vom Inhalt in Zwischensequenzen. Einmal, als Faber feststellt, dass er verheiratet ist und es quasi keinen Unterschied macht, dass seine Frau tot ist. Sie habe ihn schließlich nicht verlassen, er sei nicht geschieden, sie sei nur nicht mehr da. Den genauen Wortlaut weiß ich nicht mehr, aber es hat Eindruck hinterlassen. Wie lernen Faber an keinem Scheidepunkt kennen, denn er steht. In seinem Schmerz, bei seiner Frau, in seiner Depression.
Und dann fällt der zweite wichtige Satz durch den Vater eines der Getöteten, der ebenfalls schwul gewesen ist. Liebevoll eine seiner Tauben haltend sagt er: “Warum können die Leute einen nicht in Ruhe lassen? Nur, weil man ein bisschen anders ist. Hab doch auch nichts dagegen, dass die alle gleich sind.”
Fazit: In 88 Minuten wollte man uns im ersten Film mitteilen: Es wird dreckig. Diese Charaktere haben ein Leben, und wir trauen uns, es zu erzählen. Mal langsam und qualvoll (Faber), mal stürmisch (Kossik/Dalay) und mal sehr defensiv, aber gebeutelt (Bönisch). Das machte schon damals Lust auf mehr. Wie würde Kossik mit Faber klarkommen? Wie oft würde Bönisch intervenieren müssen? Warum ist Fabers Frau tot? Schluckt er deshalb Antidepressiva? Da waren genug Fragen übrig nach Teil 1.
#2: Mein Revier
Plot: Jemand wird erschossen von zwei Polizisten gefunden. Die Kripo kommt. Ein anderer Beamte ermittelt gerade in einem Fall einer Leiche, die in einem Wagen gefunden wurde. Faber vermutet einen Zusammenhang. Offenbar gibt es für den ersten Mord eine Zeugin. Ein Drogenbaron taucht auf, Faber verliert die Contenance und kriegt die Nase blutig geschlagen. Bönisch ist sauer auf Faber. Kossik ist sauer auf Faber. Dalay ist sauer auf Kossik und sich. Bönisch schläft mit einem Callboy, Jo Weil, ausgerechnet, aber naja. Faber ist sauer auf sich selbst. Faber bekommt seltsame Briefe mit Fotos seiner toten Familie am Unfallort und ist sauer auf alle. Kossik ist sauer auf Dalay. Ach ja: Die Ex des Polizisten war es übrigens. Also, der erste Mord.
Ey, nee, sorry. Ich weiß nicht, ob irgendwelche Synapsen beim Gucken durchgebrannt sind, aber das war mir auf allen Ebenen zu versucht, zu gewollt, deshalb zu zäh und irgendwie zu viel. Zu viele Namen, zu viel Handlung, zu viele Verwicklungen, zu viel saure Pommes. Jürgen Werner wollte wohl noch mal mit der Brechstange dem letzten, der es noch nicht verstanden hat, erzählen, dass das hier wirklich kein Ponyhof ist in Dortmund, wirklich nicht. Also gar nicht. Sondern man kackt sich halt den ganzen Tag an und findet sich scheiße. Vom Geräuschpegel erinnerte es mich an einige der Schweizer Tatorte, wo permanent geschrien wurde und man hinterher total aggressiv war und erst gar nicht verstand, wieso.
Gut, wir gehen hier in Film zwei schon erheblich in die Horizontale. Tarim Abakay tritt zum ersten Mal auf. Wir erfahren, warum Faber so durch ist. Wir sehen Unfallfotos seiner Familie. Wir sehen, wie Faber mit einem Baseballschläger seine Büro-Einrichtung zerlegt. Der Mann ist kaputt. Und es wirkt in Film zwei dann auch endlich so, als ob seine Kollegen das vollumfänglich begreifen. Die, die vorher befinden, dass der Mann ein “Vollspacko” (Kossik) ist und so gar nicht teamfähig. Das streitet Faber vehement ab. Doch Bönisch vermutet ohnehin, dass Faber wieder zu früh seinen Dienst angetreten hat.
Apropos Bönisch: Mehr als beim ersten Mal Schauen fällt mir auf, dass ihr Leben außerhalb des Reviers marginalisiert stattfindet. Wir wissen ja nun, dass sie zwei Söhne und offenbar einen Mann dazu hat, den sie am Telefon jetzt schon mehrfach angeschnauzt hat. Scheint also alles nicht so prall zu sein. Statt den Konflikt zu lösen, bucht sie sich aber erst mal im Hotel ein und hat “eine halbe Stunde Zeit” mit einem Callboy. Gut, kann man so machen. Hier wünsche ich mir beim Gucken mehr Einsichten im dritten Film. Was ist da los? Wer sind die Söhne? Wer ist der Mann? Werden wir ihn jemals zu Gesicht bekommen? (Spoiler: nein, oder doch??).
Kossik ist ein bisschen anstrengend. Irgendwie wird hier eher Dalays Gefühlslage erzählt als seine. Emotional verstehe ich ihr Genervtsein, rational verstehe ich nicht, wieso sie nicht klare Kante mit ihm macht.
Gleich zu Beginn am Tatort wühlt Faber sich durch eine Mülltonne und bittet die Kollegen, doch bitte ebenfalls in eine der Tonnen zu steigen und nach der Mordwaffe zu suchen. Kossik hat so gar keine Lust und erwidert (nicht ganz zu Unrecht): “Das ist ein Job für die Spurensicherung.” Doch Faber entwaffnet den Kollegen: “Sind Sie aus Düsseldorf oder Dortmund?” Ja, mit diesen Sätzen kann man Fußballspiele und Krimiabende gewinnen.
Was mir gut gefällt, ist die Draufsicht auf die Dortmunder Nordstadt. Und ich finde es nach wie vor super, dass man auch genau dort gedreht hat. In Hinterhöfen. Rund um die Straßen, die von Hausbesetzungen und Vermüllungen betroffen sind. Da hat Werner ein großes Thema auf- aber nicht wieder zugemacht, wie könnte er auch? Das ist ein Fass ohne Boden. Aber das sind die Themen, von denen der Dortmunder Tatort nun mal lebt. Das ist real, authentisch, einfach da und existent. Punkt. Dass die Geschichte mir zu viele Namen, Kleinklein und Großgroß enthält, steht auf einem anderen Blatt. Ich fand die Folge insgesamt einfach zäh und mich tragen überwiegend die Kommissare zum dritten Film. Die Geschichte beginnt ja erst, die Kommissare sind einfach (Kossik) bis komplex (Bönisch) gestrickt, ja, ich glaube, Martina Bönisch ist der komplexeste Charakter der vier, nicht gefolgt von Faber, sondern von Dalay. Faber ist geschlagen, kaputt, depressiv, fertig. Das ist traurig, aber einfach. Doch was Martina Bönisch jeden Morgen antreibt, zur Arbeit zu fahren, gut, mal abgesehen, von einer zerrütteten Familie, das wissen wir noch gar nicht. Traurig ist, dass wir das bis Folge 16 auch noch nicht so richtig herausgefunden haben.
Lieblingszitat, als Faber einen Mann verfolgt, der Richtung Dach flieht: “Warum rennen die immer alle nach oben? Als ob sie fliegen könnten.”
Fazit: Hach, es ist immer noch dreckig. Aber es ist herrlich schön. Während andere sich daran stören, wenn die Kommissare ihr Privatleben auf dem Büroschreibtisch austragen, finde ich das einfach nur extrem unterhaltsam. Denn das sind die Charaktere, die mich am Ende durch den Film tragen. Opfer und Täter sind in jedem Film neu und anders, aber meine Familie sind die Polizisten. Für die schalte ich ein, die will ich sehen, und die will ich bitte auch zerstört und fertig sehen. Und das darf bitte gerne auch intensiv thematisiert werden. Deshalb liebe ich Dortmund, deshalb herze ich Rostock so sehr. Die Krimi-Handlung in “Mein Revier” bekommt von mir ein paar Pluspunkte für das Aufzeigen der sozial-gesellschaftlichen Probleme in Stadtteilen wie der Dortmunder Nordstadt. Da liegt der Finger in der Wunde, und es schmerzt. Ein paar Punkte Abzug gibt es für zu viele scheinbar in die Handlung integrierte Personen. Ich brauche keine zehn Namen, die den Stoff dicht machen. Ich brauche dichten Stoff.
#3: Eine andere Welt
Man stelle sich Martina Bönisch mit dem immergleichen Gesichtsausdruck vor: stoisch, ernst, starr, unbeeindruckt, uninteressiert. Ihr wisst, was ich meine. Und dann lese man sich folgende Dialoge zwischen ihr und Faber aus “Eine andere Welt”, dem dritten Teil der Dortmund-Saga, durch.
Faber: “Ein Opfer will nach oben. Frei nach Hans Fallada.”
Bönisch: “Was soll’n der Quatsch?”
Faber: “Ich weiß nicht. Ich wollte die Stimmung auflockern.”
Bönisch: “Welche Stimmung?”
Bönisch (zum auf dem Boden sitzenden Faber): “Stehen Sie auf, Sie verkühlen sich nur die Blase.”
Faber: “Ja, Mama.”
Bönisch: “Vorsicht, Faber. Ganz dünnes Eis.”
Faber: “Ich brauch’ Ihre Hilfe. Sie müssen Ihren Charme für mich spielen lassen.”
Bönisch: “Welchen Charme?”
Faber (stellt fragend fest): “Sie mögen mich?!”
Bönisch: “Immer mehr.”
Bönisch: “Lassen Sie mich fahren, Faber, in Ihrem Zustand…”
Faber: “Ich will nicht fahren. Ich will Sie vergewaltigen.”
Bönisch: “Schön.”
Faber und Bönisch stellen authentisch eine Vergewaltigung im Wagen nach. Faber ist voll in seinem Element, Bönisch hat schon einmal irritiert mit der Augenbraue gezuckt.
Faber: “Der Slip muss weg.”
Bönisch: “Der Slip bleibt, wo er ist…”
Zwei Polizisten nähern sich von hinten.
Bönisch: “Ist rein dienstlich.”
Ja, hier werden Grundlagen geschaffen. Bönisch lässt sich endlich richtig auf Fabers Art der Ermittlung ein. Ja, immer noch mit angezogener Handbremse, aber deutlich schneller als in den beiden Filmen zuvor. Und auch das letzte bisschen Handbremse wird in den weiteren Filmen ja noch gelöst. Mein Eindruck hier: Faber setzt irgendetwas in Bönisch frei, er setzt Bönisch frei. Er ist es letztlich, so finde ich, der ihre Ehe beendet. Bei einer Besichtigung des Tatorts drückt Martina die Anrufe ihres Mannes so lange weg, bis Faber ihr das Telefon aus der Hand nimmt und “Herrn Bönisch” fragt, ob er sich mal Gedanken gemacht hat, warum seine Frau gerade nicht telefonieren möchte. Bönisch ist empört, und hier verrutschen zum ersten Mal zwei Ebenen. Während Faber immer noch den Tathergang rekonstruiert, ist Bönisch in ihrer Empörung ein paar Sekunden gefangen. Doch so richtig erschließt es sich dem Zuschauer eigentlich auch nicht. Wo ist sie? Wer ist sie? Ist sie gerade die Tote oder Martina? Ist sie wütend auf den Chef oder auf ihren Mörder? Und in den Worten Fabers liegt eine unglaubliche Meta-Ebene, die Martinas Leben spiegelt. Raus aus dem Leben will sie eigentlich, in eine andere Welt. Wie das Opfer. Es ist für mich die bislang beste Szene in drei Filmen. Es hat “rostockesque” Züge, und das liebe ich ja ohnehin sehr. Wenn auf einmal, aus dem Nichts, eine Verbindung hergestellt wird, aber nur im Kopf des Zuschauers, die komplett authentisch ist, echt ist, in diesem einen Moment liegt. Nur da. Es ist eine ganz, ganz starke Szene. Und Anna Schudts Gesicht spricht Bände.
Etwas später im Wagen ruft Martinas Mann erneut an – übrigens haben wir ihn immer noch nicht gesehen und werden das auch nie, was ich wirklich fragwürdig finde – und sie gibt Faber freiwillig ihr Telefon. Das Eis ist gebrochen. Sie heißt es willkommen, dass er ihr die unangenehme Aufgabe abgenommen und den Mann vorerst zum Schweigen gebracht hat. Sie ist dankbar, auf ihre Art. Und das Gezänk mit Faber kommt ihr gerade recht. Auch bei komplett unverrückter Miene genießt sie es.
Der Film beginnt übrigens mit dem Opfer, das sich selbst im heimischen Umfeld beim Schminken und Anziehen filmt und zwischendurch immer wieder in die Kamera sagt “hi, ich bin die Nadine”. In der nächsten Szene sieht man Nadine tot im Phönixsee treiben. Und ich hörte mich laut sagen: “Hi, ich war die Nadine.” Jepp, state of mind: urlaubsreif. Nadine jedenfalls war 16, auf Drogen, verknallt in einen unangenehmen Typen. Und eben derzeit tot. Was Dortmund schafft, wie es nur Rostock kann: eintauchen in die Geschichten der normalen Menschen, der normalen Emotionen, der kleinen Geschichten zwischen all den großen.
Ein bisschen eklig ist die Vernehmung des Vergewaltigers, der den Sex natürlich als einvernehmlich hindreht, was die Prellungen, Blutergüsse und sonstigen Verletzungen natürlich nicht erklären kann. “Kennen Sie das”, fragt er Bönisch, “wenn Sie so scharf sind, dass Sie es nicht mehr bis nach Hause schaffen?” Bönisch wie immer: verzieht keine Miene. Und denkt vermutlich an ihren Callboy, den sie gerade abgesägt hat mit den Worten, sie brauche was Neues, ein neues Leben. Daraufhin beendet sie – vermutlich, noch wissen wir es nicht – ihre Ehe. Und Faber stellt am Ende fest: “Sie waren erstaunlich konsequent. Ihr Telefon hat nicht mehr geklingelt.” Sie nickt nur. Vielleicht ist sie hier sogar schon verloren, ohne es zu wissen oder es wissen zu wollen.
Ich habe übrigens nun schon im dritten Film Probleme, Stefan Konarske zu verstehen. Mir war es damals schon aufgefallen, aber inzwischen ist es, vielleicht aufgrund meines eigenen fortgeschrittenen Alters, noch krasser geworden: Entweder nuschelt der Mann oder hat eine heiße Kartoffel im Mund. Die Aussprache ist wirklich grenzwertig. Und zeitweilig nervt es dann auch ein wenig, wenn man denkt: “Sag jetzt bitte nichts, ich versteh dich nicht.”
Ich möchte bei diesem Film Jörg Hartmann herausheben: Un-Fass-Bar. Der Mann ist einfach so gut. Und er wird noch besser, wenn er ein starkes Gegengewicht bekommt. Anna Schudt tritt in “Eine andere Welt” endlich aus ihrem eigenen Schatten und wird zu diesem Gegengewicht. Vielleicht auch, weil man sie dann gelassen hat. Denn aus der Wand gerissene Waschbecken, zertrümmerte Schreibtische und wirre Schlüsse allein machen keinen Faber. Und komisch-tragisch-intensive Dialoge sind eben Dia- und keine Monologe. Trotzdem: Die Nahaufnahmen von Hartmann als Faber sind sensationell gut. Das ganze Gesicht bebt, ohne dass sich eine Faser regt. Jede Emotion, die man Faber ablesen soll, liest man ab. Bis auf die feinste Nuance. Ich bleibe auf jeden Fall dabei, dass wir in Dortmund und Rostock wirklich die Schauspieler-Elite bei der Arbeit sehen.
Fazit: “Eine andere Welt” bringt uns endlich in diese andere, kaputte Welt von Faber und Bönisch. Und man will auch gar nicht mehr so recht weg, auch wenn klar ist, dass vor uns ein sehr harter Weg liegt. Der dritte Film reißt raus, was der zweite reingerissen hat. Er ist urkomisch, urtragisch, die extrem konstruierten und überzeichneten Konflikte der ersten beiden Filme bekommen endlich Schattierungen und Hintergrund und die Kommissare wachsen zusammen wie die Narbe einer Wunde, der man keine Schonung hat zuteil werden lassen. Bitte davon mehr!
#4: Auf ewig dein
Na also. Jetzt sind wir im Flow. Das ist das Dortmund, an das ich mich erinnere. Denn zwischen all dem Rotz, dem Dreck, der Wut, dem Ärger steckt so viel Liebevolles, Zärtliches, Langsames, Schönes. Nein, das hat gar nichts mit einer masochistischen Ader zu tun, aber wenn man beim Gucken wirklich auf die Zwischentöne achtet, transportiert sich so viel mehr als ein kaputter Chef, eine einsame Kollegin und zwei sinnsuchende Jungkommissare. Da ist ein Mann, der seinen Weg sucht, ganz dringend. Eine Frau, die ihren gerne verlassen würde, ebenso dringend. Eine andere Frau, die im neuen Chef eine Art Ziehvater sieht, der eben auch das tut: sie mitziehen, ihr neue Wege zeigen. Und noch ein Mann, dem es zugegeben bis hierher ein wenig an Markanz mangelt. Den neuen Chef anbrüllen und grundaggressiv durch die Gegend laufen, ist eben nicht markant. Wobei sich Kossiks Charakter hier in “Auf ewig dein” schon definitiv mehr formt als in den Filmen zuvor.
Und dann haben wir natürlich erstmals: Auftritt Markus Graf. Es tut mir wirklich leid, aber ich finde Florian Bartholomäi in der Rolle komplett fehlbesetzt. Der Sprachduktus allein macht mich völlig fertig. Nichts, was er sagt, nicht ein Wort, kaufe ich ihm ab. Er ist für mich nie der kalte Psychopath, der Mädchen umbringt und Fabers Leben zerstören will. Ich nehme es ihm nicht ab, nichts. Und deshalb nehme ich ihn auch nicht ernst und sitze mit verkniffenen Augen auf der Couch und denke: Joa, mach du mal. Ich weiß nicht, ob es an der Rolle allein liegt, denn Bartholomäi fand ich beispielsweise in “Taxi nach Leipzig” sehr überzeugend. Aber hier in der Rolle des Markus Graf komme ich mit ihm nicht zurecht. Das tut allerdings dem Spaß beim Gucken überhaupt keinen Abbruch, weil der Plot so gut ist, weil die Dialoge so gut sind, weil Dortmund hier so langsam an der 100%-Marke kratzt und zeigt, was es später sogar noch besser kann.
Erst mal steht Bönischs Callboy im Präsidium und wird zu einem Drogendelikt vernommen. Dass er da irgendwie beteiligt ist, wird relativ schnell klar. Bönisch findet es gar nicht mal so toll, dass er sie auf dem Revier-Flur dann sogar erblickt und später nicht nur zur Rede stellt, sondern sogar erpresst. Das mündet übrigens in einer wunderbaren Szene zwischen Faber und Bönisch, die wodkatrinkend auf einem Hotelbett endet mit den Worten: “Einen Oscar gewinnen Sie dafür nicht.” Es ist diese lakonisch Art, vermeintlich angespannte Situationen wieder aufzulösen, die Anspannung rauszunehmen, ohne Entspannung reinzugeben. Zuvor hatte ein Kollege auf dem Flur mit Bönisch über den Callboy gesprochen und eher beiläufig gefragt, wie frustriert Frauen sein müssen, wenn sie “zu so einem” gehen. Sie dreht es geschickt um und ersetzt Callboy durch Prostituierte und Frau durch Mann. Der Punkt geht an Martina.
Die Episode “Auf ewig dein” beschäftigt sich neben all dem lustig-subtilen Hintergrund aber in der Hauptsache mit vermissten und auch getöteten Mädchen. Die Kommissare kommen relativ schnell auf eine deutliche Spur, die über eine Pädophilen-Plattform in eine Reinigungsfirma und schließlich zu Markus Graf führt, der, so Faber, “gefunden werden will”. Genauso sind dann auch die Zusammentreffen der beiden. Graf soll überlegen, seelenruhig und abgeklärt wirken – wie gesagt, bei mir wirkt da gar nichts. Ich fühle mich durch ihn weder angeekelt noch verängstigt oder beunruhigt. Dass Graf hinter den Morden steckt, vermutet Faber übrigens sehr schnell, doch seine Kollegen versuchen noch eine Weile verzweifelt, ihm das auszureden. Das ist mir an der Stelle dann auch etwas zu viel. Hört den Mann doch erst mal an. Er mag kaputt sein, aber er hat einen Instinkt, und der Instinkt war doch in den vergangenen Fällen auch nicht so weit von der Wahrheit. Zumal es letztlich Nora ist, die Grafs Foto an die Wand gepinnt hat, wie Faber zurecht feststellt.
Am Todestag von Fabers Frau und Kind tötet Graf also ein Mädchen. “Ich jammer Ihnen zu viel”, stellt Faber einmal fest, woraufhin Bönisch sehr treffend antwortet: “Nein, Sie trauern nicht, das ist das Problem. Ich weiß nicht mal, ob Sie es können.” Der Punkt geht wieder an Martina.
Als Bönisch später erneut einen Umschlag an Faber adressiert auf dessen Schreibtisch findet, nimmt sie ihn kurzerhand an sich und bringt ihn zur kriminaltechnischen Untersuchung. Später gesteht sie Faber ihren Schritt. “Das geht Sie überhaupt nichts an”, fährt Faber sie an. “Doch, leider geht es mich was an, seit Sie mich in die Sache mit reingezogen haben.” Auch der Punkt geht an: genau, Martina.
Aber Faber macht dann auch noch einen. Denn natürlich wird auch in “Auf ewig dein” ordentlich rumgezetert. Faber ist aufgebracht, weil Bönisch privaten Ärger hat. Damit kann er, schon rein emotional, nicht umgehen. Sie ist jetzt schon seine starke rechte Hand, sein Halt, beruflich sehr, privat auch. So sagt er: “Können Sie Ihren privaten Ärger zuhause lassen?” Und sie antwortet gewohnt schlagfertig: “Heute schon mal in den Spiegel geschaut?” Doch es sind diese Momente, in denen er seine ganze Verletzlichkeit auspackt mit einer entwaffnenden Ehrlichkeit: “Von mir ist man nix anderes gewohnt, von Ihnen schon. Zwei von meiner Sorte können wir uns nicht leisten.” Punkt Faber.
Ich hätte dann übrigens gern noch gesehen, nachdem Faber und Graf dann doch nicht vom Dach gesprungen sind – übrigens ein Motiv, das immer wieder auftaucht: Faber auf einem Dach, bereit, zu springen. In den Tod. Oder vielleicht ins Leben – wie Bönisch und Faber das gemeinsame Bier trinken, denn das sei, so Bönisch, ja “noch offen”.
Noch ein schöner Schlagabtausch zwischen dem Verdächtigen Städter und Faber.
Passek: “Wenn Sie nen Job suchen, vergessen Sie’s. Ich stell’ keine Obdachlosen ein.”
Faber: “Kripo Dortmund.”
Passek: “Heiliger Bimbam, die nehmen da auch schon jeden.”
Faber: “Naja, es kommt halt auf die inneren Werte an, ne?”
Fazit: Müsste ich eine Kurve zeichnen, dann zeigte sie seit “Eine andere Welt” deutlich nach oben. Es wird besser, besser, besser. Und die ersten zwei Filme sind fast schon vergessen. Auch bei einer Serie gibt man ja gern mal ein paar Folgen Zeit, damit sich alles einleben und eingewöhnen kann. Hier ist es jetzt soweit. Kossik ist ruhiger geworden, obwohl die Nebenhandlung um Noras Schwangerschaft durchaus emotional aufreibend ist für den Mann, bleibt er weitgehend ruhig, wenn auch eindeutig verletzt und irritiert. Man hat ihn ein wenig reifen lassen über die vier Filme. Das Gleiche gilt für Nora. Und Nummer vier ist für mich jetzt auch der Film, speziell als Nachfolger von Nummer drei, wo klar ist, dass Bönisch und Faber hier eigentlich schon hoffnungslos verloren sind. Auch, wenn’s noch nicht Liebe ist, aber da hat was geklickt: Anker, Seelen, Haken, Ösen, Herzen. Die Einführung des Antagonisten Markus Graf finde ich zu blass, zu schwach. Ihn als Kindermörder zu inszenieren, sollte wohl alles noch bedeutsamer, schwieriger, schlimmer machen. Wie gesagt, bei mir funkt nichts. Am Ende des Films wird er festgenommen, was die horizontale Querhandlung vermeintlich beendet. Wir wissen es natürlich besser. Ich weiß nicht, ob es nicht besser gewesen wäre, die Graf-Handlung konsequent über vier oder fünf Filme zu erzählen und dann aber auch wirklich abzuschließen. Es ist fast irrwitzig, dass er in Film #4 seinen ersten und in Film #16 seinen letzten Auftritt hat. Wir reden hier von insgesamt sieben Jahren (!).
#5: Hydra
Nachdem wir den Dortmunder Norden schon eindrücklich vorgestellt bekommen haben, geht es in “Hydra” nun irgendwie um die andere Seite. Wie geht die Dortmunder rechte Szene mit Bulgaren, Rumänen und zugemüllten Hinterhöfen um? Kai Fischer, der Kopf der Dortmunder Neonazi-Szene, wird im Stahlwerk Phoenix-West ermordet aufgefunden. Kai Fischers hochschwangere Frau Tanja vermutet, dass Jedida Steinmann, die Leiterin der Beratungsstelle „Stand up“ gegen rechte Gewalt, mit der Tat zu tun hat. Ein Motiv vermutet Tanja darin, dass auch Steinmanns Mann Opfer eines Mordanschlags geworden ist, bei dem Frau Steinmann nicht nur ihren Mann verlor, sondern auch eine Fehlgeburt durch einen Tritt in den Bauch erlitt. Kai Fischer wurde seinerzeit der Tat verdächtigt, konnte jedoch nicht überführt werden, da allein Indizien für eine Verurteilung nicht ausreichend waren. Diese Zeilen habe ich mal von Wikipedia geklaut. Natürlich ist am Ende alles viel komplizierter, als es zunächst scheint. Denn relativ schnell wird klar, dass im Dortmunder Polizeipräsidium ein Maulwurf sitzt. Schnell wird Daniel Kossik verdächtigt, weil sein Bruder Tobias Mitglied der besagten rechten Szene ist. Kossik, der ebenso wie Dalay, nicht nur immer noch mit der Abtreibung zu tun hat, sondern auch die Trennung, der initiiert hat, noch nicht verarbeitet hat, bekommt also emotional in diesem Film einiges zu tun. Es ist das erste Mal, dass Faber mit Dalay ermittelt, weil er findet, dass Dalay/Kossik gerade nicht zu zweit auf die Menschheit loszulassen seien. Ja, das kann man so sehen.
“Hydra” schreibt durchaus fort, was “Auf ewig dein” angefangen hat. Im fünften Film sieht man die horizontale Weiterentwicklung auch, wie ich finde, erstmals nicht nur in der Entwicklung der Charaktere, sondern auch in den kleinen Gesten, Worten und Taten. Es wirkt tatsächlich so, als wüchse hier ein Team zusammen. Ja, klar, ein dysfunktionales Team, aber ein Team, das, so dysfunktional es ist, eben funktioniert. So fallen denn auch zwischendurch mal die Worte, dass das Team gute Arbeit leiste und deshalb den Fall übertragen bekommen habe.
Dass mit Markus Grafs Verhaftung für Faber noch lange nicht wieder alles gut ist oder jemals sein könnte, wird in “Hydra” auch deutlich zur Sprache gebracht. Eines Abends folgt er Bönisch zu einer Hotelbar. Bönisch, die gerade mit einem Mann (Peter Trabner, sic!) angebandelt hat, ist genervt, lässt sich jedoch erst einmal nichts anmerken.
Faber: “Ich hatte die Wahl.. entweder fahr ich in den Knast und schlag den Kopf von Markus Graf so lange gegen die wand, bis er zugibt, dass er meine Frau und Tochter umgebracht hat…”
Bönisch: “…hat er…”
Faber: “… oder ich guck mal, was Sie so treiben.”
Bönisch: “Haben Sie keine Duftkerzen zuhause, die Sie anzünden können?”
Faber: “Ich habe nicht mal einen Kaktus, mit dem ich reden kann.”
Dass Faber, der den Trabner-Charakter durch bloße Anwesenheit vergrault hat, dann die Szene verlässt, bevor er mit Bönisch zum gemeinsamen Geträn schreiten kann, untermalt einmal mehr das Urkomische in Dortmund. “Geiler Abend”, kommentiert Bönisch, nun allein an der Bar, das Geschehen und stellt Faber am nächsten Tag einen Kaktus auf den Schreibtisch. Die Ansage, dass er solche Besuche zu unterlassen hat, ist so klar, wie sie in der Situation eben sein kann.
Doch damit ist es nicht getan. Die Abgründe des Peter Faber beschäftigen sie so nachhaltig, dass sie ihn, mal wieder in einer der berühmt-berüchtigten Täter-Opfer-Szenen, zur Rede stellt. Wieder einmal verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit. Vielleicht ist das der Rahmen, den Bönisch braucht, um Faber aus der Reserve zu locken, weil sie weiß oder ahnt, dass er viel zu verletzlich wäre, würde sie ihn in einem banalen Moment ansprechen, ohne ihm die Möglichkeit zu geben, in seine “Fantasiewelt” abzugleiten, die ja nun irgendwie auch eine Art Schutzfunktion hat, wie wir in den Filmen davor sehen konnten.
Nun also stehen sie wieder einmal am Tatort, Faber fabuliert sich in seine Tätergestalt, während Bönisch eigentlich nur eins wissen will und dann auch genau da ansetzt: “Gestern Abend, als Sie mich da in der Hotelbar heimgesucht haben.” HEIMGESUCHT. Nein, nicht aufgesucht, sondern heimgesucht. Doch Faber weiß sofort, hier droht Gefahr, ein Donnerwetter, Rückzug ist angesagt: “Können wir uns bitte auf den Fall konzentrieren?” Doch sie bleibt dran: “Verfolgen Sie mich?” “Ja, manchmal”, antwortet er lapidar, und bei jedem anderen Menschen müssten spätestens hier alle Alarmglocken läuten.
Bönischs Gesicht zeigt einmal mehr keine Regung, maximal Mitleid, vielleicht noch Rat- und Hilfslosigkeit, ein bisschen Angst? Die Verantwortung, diesen Mann, zufällig ihr Chef, jetzt an den Hacken zu haben, unbewusst über einen guten oder schlechten Tag zu entscheiden, muss jedem normal denkenden Menschen zu viel sein. Die Situation wird letztlich nicht verbal aufgelöst. Der Chef ein Wrack, die Ehe kaputt, was bleibt, ist der Job, in dem man sich beweisen kann. Ich wiederhole hier noch mal, dass ich glaube und fühle, dass Martina Bönisch der komplexeste aller vier Charaktere ist. Vielschichtig, durchaus emotional, aber am Ende immer rational getrieben.
Zu erwähnen wäre auch noch ein Dialog zwischen Faber und Bönisch während der Ermittlung.
Bönisch: “Es gibt Frauen, die tragen ihre high heels nur ein einziges Mal.”
Faber: “Ja gut, aber die schmeißen die nicht gleich weg, sondern stellen die in den Schrank.”
Bönisch: “Da weiß aber einer Bescheid.”
Faber: “Ich war nicht immer so wie jetzt.”
Bönisch: “Haben Sie auch mal Abendkleid getragen und nicht nur diesen schrecklichen Parka”?
Martina schießt also auch durchaus auf unterster Ebene zurück, wenn sie auch davon ausgehen muss, dass der Chef sich hier gerade einen Zentimeter weit öffnet. Doch so weit ist sie noch lange nicht.
Fazit: “Hydra” reiht sich als dritter Film in Folge in der Kategorie “sehr gute Qualität” ein. Ich finde, das gilt für Buch, Regie, Kamera und horizontale Entwicklung. Sowohl das Problem-Konstrukt Dalay/Kossik wird weiter beleuchtet als auch die Beziehung Faber/Bönisch. Es wirkt stellenweise fast ein bisschen zu viel an diesen Fronten, ohne dass eine wirklich Auflösung der Knoten geschieht. Eher werden sie noch weiter zugezogen, damit dann im nächsten Fall daran herumgeknibbelt werden kann. So zumindest der Eindruck. Zuspitzung vor Auflösung. Die Suche nach dem Maulwurf unter den Kollegen gerät hier fast ein wenig zu sehr in den Hintergrund und wird gefühlt irgendwie beiläufig erzählt, auch wenn Bönischs Schreck, als sie herausfindet, wer es ist, durchaus authentisch rüberkommt.
#6: Schwerelos
Der Film lässt mich leider alles andere als schwere-los zurück. Ganz im Gegenteil. Heilige Scheiße, das ist vielleicht bedrückend. Es ist genauso bedrückend wie beim ersten Mal. Und ich find’s so geil, dass sie die Schere einfach aus dem Fenster werfen. Einvernehmlich, ohne das zu besprechen. Martina, mach mal das Fenster auf, Martina kurbelt, Peter nimmt die Schere. Peter guckt Martina an und wirft die Schere aus dem Fenster. Ende. Ich kann mich nicht erinnern, wie das damals in den Netzwerken diskutiert wurde, aber irgendwo zwischen “dat geht doch nicht” und “joa, ist doch ein Kind, Papa ist tot, ist Strafe genug” wird es wohl gewesen sein. Zum Plot: Mann wird schwer verletzt vor einer Klinik gefunden, in der Bönisch gerade ihren Sohn sucht. Bönisch wittert einen Fall, eine Untersuchung beginnt. Und es wird tatsächlich klar: Hier trachtete jemand dem später Toten nach dem Leben, dann ja auch erfolgreich nach ein paar Tagen.
Faber spielt jetzt übrigens Tennis und begründet das, nachdem Bönisch ihn fragt, seit wann er eigentlich Tennis spiele, damit, dass er sie ja nun nicht mehr verfolgen dürfe und was anderes brauche, um nicht verrückt zu werden. Den Tennisball trägt er fortan eine Weile bei sich, bis er ihn aus knapp 50 Metern Richtung Bönisch zu Boden wirft, sie winkend und rufend grüßt und sie sich ein “Arschloch” in den Bart murmelt. Ach, aber ohne wär’s auch langweilig, ne, Martina? Drei Sekunden vorher kommentierte sie noch, dass sie immer ein Scheißgefühl habe, wenn Faber irgendwo “oben” steht. Ich kann’s verstehen, hätte ich auch. Interessanterweise steht er in fast jedem Film “oben” und liebäugelt mit dem “unten”, aber dafür ist er natürlich noch nicht “unten” genug, um das “oben” nicht doch noch ausreichend wertschätzen zu können.
Unabhängig davon: was für eine Regie, was für eine Kamera, was für grandiose Szenen. Züli Aladag und Yoshi Heimrath, Regisseur und Kameramann: danke. Ich liebe ästhetisch gedrehte Filme, und das hier ist einer der besonderen Art. Da stört es auch gar nicht, dass jemand am Helligkeitsregler in die falsche Richtung gedreht hat, denn “Schwerelos” ist dunkel, vereinnahmend, bedrückend. Viel heller hätte es nicht sein dürfen.
“Schwerelos” will auch gerne Nora sein, die massiv mit ihrer Abtreibung zu kämpfen hat. Sie lässt sich kurzerhand auf einen base jumper ein und gefährdet massiv ihren Job auf der Suche nach einem Weg, sich wieder lebendig zu fühlen, auf der Suche nach dem nächsten Kick. Diesmal ist es Kossik, der noch erwachsener und reifer als im letzten Film wirkt, vermutlich geprägt durch den Verlust des Kindes, das Kind, das nie seines werden durfte. Es ist durchaus überraschend, dass er am Ende für die Ex so da ist, wie sie es dann auch zulässt, aber es ist versöhnlich, ein gemeinsames, verbundenes Abschiednehmen vom Kind und voneinander in etwa 50 Metern Höhe. Wieder sind wir “oben”, während wir emotional relativ weit unten sind. Schwerelos oder schwere-los ist in diesem Film niemand, denn wirklich niemand wird die Schwere los. Weder die besorgte Mutter Martina, die nicht weiß, wo sich ihr Sohn rumtreibt, noch Faber, den wieder einmal die Vergangenheit einholt. Die jungen Kollegen auch nicht.
Faber verliert kurz die Contenance, als er die Familie des Opfers in der Nacht besucht und flieht so schnell er kann aus dem Haus. Nur um dann doch wieder bei Bönisch zu landen und ihr endlich die Sicherheit zu geben, die sie gerade braucht. Später gelingt es ihm nicht ganz so gut, als er Bönisch verzweifelt-weinend am Schreibtisch sitzen lässt, weil er gerade den Fall gelöst hat. Die in “Hydra” angesprochenen Knoten werden also meines Erachtens nur bei Kossik/Dalay etwas gelöst, aber keinesfalls in der Beziehung Faber/Bönisch. Hier ist alles ungeklärt und auf dem Prüfstand, will hinterfragt werden. Aber eben nicht hier und heute. Faber will nicht, Bönisch kann gerade nicht. Und so ganz unbequem ist’s mit dem Kollegen ja auch nicht.
Fazit: “Schwerelos” überzeugt mich einfach durch eine grandiose Regie und eine grandiose Kameraführung. Das Thema ist bedrückend, nah dran am Menschen, zieht einen rein und runter. Ein absolut überzeugendes Meisterwerk in meinen Augen, mit einigen punktuellen Schwächen hier und da, die ich ja erwähnte, die aber die Gesamtnote nicht massiv nach unten drücken. Das ist wirklich sehenswerter Dortmund-Krimi, nah dran an der Perfektion.
#7: Kollaps
Jetzt, wo ich die Reihe am Stück schaue, stelle ich fest, dass die Autoren hier doch recht oft auf das gleiche Thema zurückgreifen: Es sterben erstaunlich viele Kinder in Dortmund durch eine Gewalttat. Oder ich sage so: Wir bekommen erstaunlich viele Fälle vorgesetzt, in denen entweder das Opfer oder Täter ein Kind ist. Das trägt vielleicht einen nicht unerheblichen Teil dazu bei, dass am Montagmorgen der Tenor über den Dortmunder Tatort so ausfällt: bedrückend, beklemmend, düster, gruselig. “Kollaps” reiht sich da nahtlos ein. Die Eröffnungssequenz ist wieder einmal grandios parallel inszeniert. Wir sehen zwei Mütter, die ihr Kind bzw. ihre Kinder verlieren. Die eine zwar nur durch den Verlust des Sorgerechts, während das Kind der anderen stirbt, weil es Pillen im Sand auf einem Spielplatz findet, aber das Thema bleibt gleich. Und wenn einem der Anwalt einen Satz wie “Sie können Ihre Kinder nicht zwingen, Sie mehr zu lieben als ihren Vater” ins Gesicht knallt, gut, da würde ich auch erst einmal fluchtartig den Raum verlassen.
Ich ertappte mich dabei, dass ich doch wiederholt hoffte, das Kind auf dem Spielplatz möge die Pillen nicht finden oder die Mutter endlich aufhören, zu telefonieren. Aber den Film kannte ich nun ja schon und nichts sprach dafür, dass jemand spontan alles neu geschrieben, gefilmt und umproduziert hätte. Also: wieder ein totes Kind in Dortmund.
Und währenddessen Bönischs kleiner Rosenkrieg, den Faber dazu nutzt, sich in Position zu bringen. Seine Flirtversuche prallen an Bönisch äußerlich zwar ab, aber es wirkt nicht so, als sei es ihr komplett unangenehm, dass er tatsächlich versucht, mit ihr zu flirten. Das erste Mal übrigens an einem Tatort, über einer Leiche hockend, als Bönisch sagt: “Ich war jung und äußerst attraktiv.” “War?”, fragt er daraufhin schalkhaft, doch wir sehen Martinas Kühlschranknatur. “Baggern Sie mich nicht an, Faber.” Zuvor sehen wir die Dortmunder Kommissars-Dynamik in Aktion, als sich ausnahmsweise mal die Rollen verkehren. Bönisch ahnt, dass Drogenboss Abakay etwas mit den Pillen im Sand zu tun haben könnte und walzt in seinen Laden rein. “Amokläufe sind normalerweise mein Ding”, findet Faber. “Seh ich aus, wie jemand, der Amok läuft?”, fragt Bönisch zurück und Faber entgegnet kleinlaut: “Ähm, naja, also.. schon”, während er atemlos hinter ihr her hetzt. Die ganze Szene ist großartig, weil sie nicht nur schnell und spannend, sondern auch so überraschend “verkehrt” ist.
Überraschend verkehrt ist auch Faber, der den Pfad der Tugend nun endgültig verlässt und Abakay einen Deal vorschlägt, der letztlich dazu führt, dass Kollege eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Faber einleitet. Hier herrscht also Eiszeit. Faber scheint noch nicht daran zu glauben, dass Kossik das wirklich durchziehen könnte und gibt sich gelassen. “Sie sind so ein Arschloch. Ein Krebsgeschwür, das man sich rausschneiden muss”, sagt Kossik. Und Faber fragt nach: “Was denn jetzt Arschloch oder Krebsgeschwür? Arschlochkrebs!” Schwierig, sich zu vorstellen, dass dieses Verhältnis sich noch einmal normalisieren kann, aber die Autoren schaffen es zumindest, beiden Charakteren ihre inzwischen zumindest überwiegend gezeigte Professionalität zu lassen.
Tragend in diesem Film sind für mich tatsächlich die vielen kleinen Faber/Bönisch-Szenen. Man setzte offenbar nun doch noch einmal darauf, das Verhältnis der beiden auf eine neue, andere Ebene zu heben, ohne zu viel herzuschenken. In “Kollaps” geht es darum, Fabers Interesse an ihr aufzuzeigen. Und so unbeholfen er auch beim Flirten ist, das Ansinnen kommt ja rüber. “Wollen wir zusammenziehen?”, fragt er sie halb im Scherz, als sie eine Wohnung wegen des Preises absagen muss. Sie schenkt ihm einen death glare und antwortet: “Da kann ich mich ja gleich erschießen.” Es hat jedoch auch was sehr “Süßes”, sofern Faber so etwas überhaupt an sich hat, als sie ihm erzählt, dass der Vater der Kinder das Sorgerecht beantragt hat und er zweimal entschlossen antwortet, dass sie gefälligst dem Noch-Gatten als auch den Kindern in den Arsch zu treten habe. Er ist auf ihrer Seite, und zum ersten Mal so richtig verbalisiert er das auch ihr gegenüber.
Die Dortmunder Qualitätskurve steigt hier immer noch steil nach oben. Und nach den letzten Filmen steht durchaus die Frage im Raum, wie viel besser das noch werden kann und soll? Und dann kam der Nachfolger “Hundstage”, der alles zuvor Gesehene in den Schatten stellte. Doch auch “Kollaps” kann durchaus was. Besonders gern habe ich eine Szene, in der Bönisch die Mutter des toten Mädchens zum vielleicht dritten Mal aufsucht und an der Wohnungstür mit ihr spricht. Die Mutter verzieht keine Miene, wurde sie doch vorher bereits zweifach von Bönisch des Drogenmissbrauchs bezichtigt. Und so knallt sie Bönisch mit beißendem Zynismus ins Gesicht, dass sie auf jeden Fall ihr Kind getötet habe, weil sie süchtig sei. Der Drogentest kam aber negativ zurück, sie nimmt offensichtlich keine Drogen. Die Szene ist aber so stark gespielt, dass man für eine halbe Sekunde glauben kann, sie ist doch abhängig. Hier verwischen die Grenzen zwischen Realität und Wahrnehmung, kleinste Zweifel werden gesät, blühen aber nie auf, denn natürlich waren es nicht die Eltern. Oder doch?
Fazit: Es ist der zweite von drei Fällen, der sich intensiv mit Kindern, Muttergefühlen, vermissten und toten Kindern, Kinder als Täter auseinandersetzt. Eventuell war das sogar Absicht, denn “Kollaps” schreibt fort, was in “Schwerelos” begann. Und “Hundstage” setzt letztlich noch einen drauf. Hier wird thematisch auch eine Brücke zu Bönischs Scheidung, dem drohenden Verlust des Sorgerechts, Dalays Abtreibung sowie Fabers Verlust des eigenen Kindes geschlagen. Mehrere Geschichten rollen nicht nur nebeneinander her, sondern stapeln sich irgendwie aufeinander auf und verdichten die ganze horizontale Dortmunder Handlung. Das ist schon sehr sehr sehenswert, weil es immer spannender wird.
#8: Hundstage
Hundstage war schon beim ersten Mal Gucken eine absolute Offenbarung für mich. Da passt von vorne bis hinten eigentlich alles. Und der Film wird gemeinsam mit “Sturm” immer meine Liste anführen, je nach Tagesform steht ein anderer Film auf Platz 1. Es fängt mit dieser unfassbaren Hitze an, die sich quasi durch den Bildschirm auf den Zuschauer überträgt. Nach meinem Interview mit Josef Heynert bin ich zwar nicht mehr sicher, ob es bei den Dreharbeiten wirklich so heiß war, wie es aussehen soll, aber es fühlt sich definitiv so an, das gelb-heiße Bild funktioniert. Ich schwitze knappe 90 Minuten mit den Protagonisten. Besonders schön sind wieder einmal die klitzekleinen Details, die einem 0815-esistSonntagabend-wirguckenKrimi-Zuschauer vielleicht nicht auffallen. Beispielsweise, als Faber den Kühlschrank öffnet und beide für einen kleinen Moment die Kühle genießen, die herausströmt. Und dort im Kühlschrank dann auch noch ein frisches Hemd von Kossik liegt, das er später anzieht.
Und ich liebe es. “Hundstage” ist die legitime Fortsetzung von “Kollaps”, sowohl in der Horizontalen als auch in der Vertikalen, wenn man das so sagen kann.
Für einen Twist im Film bin ich offensichtlich aber zu dumm: Der Psychologe, den Faber aufsuchen muss, nachdem er nun eine Dienstaufsichtsbeschwerde am Hals hat, fragt ihn, wieso er Polizist geworden ist. Die Frage bringt ihn komplett aus dem Tritt, erklärt wird uns das damit, dass seine Tochter ihn das auch gefragt hat. Und während des Films versucht er, sich an seine Antwort zu erinnern, an ihre Erklärungen. Und erst ganz zum Schluss wird es ihm klar, weshalb er den ihm so verhassten Psychologen dann doch noch mal aufsucht und ihm sagt, dass er ihm jetzt beantworten kann, wieso er Polizist geworden ist. Hä? Ich verstehe es nicht. Welche Relevanz hat es, außer, dass man Faber gerne mal einen Film lang in einer derartigen Ausnahmesituation zeigen wollte, die es ihn nicht mal mehr schaffen lässt, eine Täter-Opfer-Situation nachzuspielen. Er ist völlig von der Rolle, hat sein “mojo” verloren und verzweifelt darüber fast. Das schenkt uns zwar wunderbare Szenen, in denen Jörg Hartmann zur Höchstform aufläuft, so ganz passt es für mich aber nicht in die übergeordnete Handlung. Doch als Bönisch ihn unbeobachtet in einer dieser Situationen belauscht, als sie es am Ende dann doch gemeinsam hinbekommen und sie ihn beglückwünscht und sie sich mit einem high five darüber freuen – ja, das ist natürlich großes Kino, daher streiche ich meine Fragen vielleicht einfach und setze ein Ausrufungszeichen hin.
Prägnant auch die Nachtszenen an der Wurstbude und später im Präsidium. Es entsteht unverhofft doch etwas Nähe zwischen Faber und Bönisch, die Faber in “Kollaps” zwar mehr im Scherz gesucht hat, aber in jedem Witz steckt ein Körnchen Wahrheit. Nun ist’s an Bönisch, den nächsten Schritt zu machen, doch er wehrt sie mit den Worten “lieber nicht” ab. Gründe fallen mir hier immerhin zwei ein. Einerseits ist es einfach sehr heiß in Dortmund, beide sind müde und betrunken, und er mag durchaus Angst haben, dass das nicht der richtige Moment ist, dass sie es hinterher bereuen könnten. Andererseits ist er alles andere als bereit dafür. Als er später in seinem Wagen mit der Wurstbuden-Dame zu Gange ist, stellt er fest, dass auch das nicht so richtig geht. Mit den Worten “was willst du eigentlich von so Pack wie mir?” schickt er sie weg. Und irgendwie weiß man, die Frage galt eigentlich Bönisch. Er hat Angst, ihr nicht gerecht werden zu können, und diese Angst ist zu diesem Zeitpunkt vielleicht nicht vollkommen unberechtigt. Er verbringt die Nacht also draußen, im Revier, draußen und wieder im Revier. Zum Schlafen ist es eh irgendwie zu heiß, irgendwann schläft er dann auf seinem Schreibtisch ein. Direkt neben seinem Kaktus, näher an Bönisch geht’s halt gerade noch nicht, da sind zu viele Stacheln, die wehtun, auf beiden Seiten. “Bilden Sie sich bloß nichts ein wegen gestern Abend”, sagt sie am nächsten Morgen. Herrlich lapidar, nur ein minibisschen peinlich betreten, und er löst die Situation mit einem “ich war und bin eingebildet” für mich komplett auf. Es bleibt nicht peinlich, die Uhren werden einfach zurückgedreht.
Das Thema der Einzelepisode überzeugt mich ebenfalls. Viele kleine Puzzleteile, die bei 36 Grad zusammengefügt werden wollen. Erst relativ am Ende ergibt sich ein umfassendes Bild. Es ist kein vorhersehbarer Fall, der Schluss mit einem kaukasischen Kreidekreis ist clever ausgedacht und umgesetzt. Wie immer ist auch viel Tragik im Spiel, die ausnahmsweise mal nicht aus der Nordstadt herbeiströmt.
Außerdem haben wir eine kleine Prügelei zwischen Kossik und Faber. Und erstmals Faber ohne Parka. Ich glaube, in “Hundstage” fand ich Faber dann auch zum ersten Mal attraktiv. Wer kann einem braunen Baumwoll-Leinen-Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln schon widerstehen? Außerdem hat er seinen Parka immer dabei, auch wenn er ihn nicht trägt. Ohne ihn kann er nicht denken, sagt er. Aber vielleicht war es wirklich einfach doch zu heiß, um ihn zu tragen.
Die ganze Atmosphäre ist aufgeheizt, nicht nur das Wetter. Das macht “Hundstage” so famos unterhaltsam und spannend. Ein Highlight ist für mich auch der Versuch von Kossik und Dalay, selbst die Tat nachzustellen, nachdem Mutti und Vati es gerade nicht hinbekommen. Und die diebische Freude darüber, dass sie es gut hinbekommen haben und jetzt wieder Freunde sein können. “Hundstage” erzählt eigentlich das ganze Konzept des Dortmunder Tatorts einmal im Schnelldurchgang in 88 Minuten. Mit Nuancen, Details, aber immer dem großen Ganzen im Blick. Vielleicht gefällt mir der Film deshalb so gut. Und wenn man weiß, was da noch so nachkommt, wünscht man sich doch sehnlichst einen Fall dieser Größenordnung herbei. Solche Dialoge, solche Spannungen und Entspannungen, solche emotionalen Unwuchten und Klärungen. Es geht hier hoch und runter, und es ist herrlich.
Fazit: Insgesamt merke ich beim Gucken und Tippen, dass mir noch ein bisschen die Worte fehlen, dass mir eine Erscheinung fehlt. Ich bekomme das große Ganze nicht vernünftig in Worte gepackt. Dortmund fühlt sich ein bisschen an wie Game of Thrones. Viel weniger Personen, aber ähnlich viel Drama, Kriege und Liebe. Und alles muss irgendwie berücksichtigt werden. Das Beziehungsgeflecht aller vier Kommissare ist so dermaßen kompliziert und kaum zu entwirren, dass es schwerfällt, einen einzigen Aspekt rauszugreifen und gleichzeitig aber ebenso schwer, alle Aspekte zu berücksichtigen. Kaum fällt mir eine Sache auf und ich schreibe sie nieder, fallen mir zehn andere Dinge ein, die ich auch noch nennen müsste, was hier aber einfach den Rahmen sprengen würde. Das zeigt eben auch, wie gut durchdacht Jürgen Werner das mal angelegt hat. Ursprünglich. “Hundstage” führt die Liste also an. Müsste ich jemandem, der noch nie Tatort Dortmund gesehen hat, einen Film der Reihe zeigen, um die Charaktere und ihr Umfeld, ihre Konflikte, ihre Beziehung vorzustellen – ich würde “Hundstage wählen.
#9: Zahltag
Dass Faber ein Arschloch sein kann, dürfte bis zum neunten Film den meisten Dauer-Zuschauern klar geworden sein. Doch ich glaube, bei vielen schwangen auch immer Verständnis, Mitleid und Mitgefühl mit. Wenn jemand vor lauter Schmerz so taub ist, dass er nicht mehr weiß, wie er das Ventil geöffnet bekommt, ist es fast nachvollziehbar, dass er irgendwann mit einem Baseballschläger eskaliert oder die Kollegen eklig von der Seite anblafft – wenigstens noch ein bisschen spüren, dass man am Leben ist. Und dann aber gleich wieder eine Pille einwerfen, damit es nicht zu arg wird. So habe ich Faber bis “Zahltag” immer gesehen und konnte viele seiner Handlungen schon mal abwinkend abtun. Aber in “Zahltag” traut sich Autor Jürgen Werner tatsächlich auch für mich über eine rote Linie. Dass der Chef den Kollegen am Abend vor seinem Gespräch mit der Dienstaufsicht abfüllt und ihn damit richtig schlecht aussehen lässt, alles nur, um die eigene Haut zu retten: Das geht definitiv zu weit. Das sieht übrigens auch Martina Bönisch so, die den Chef erst mal laut und eindeutig aus ihrem Büro schmeißt. Ich glaube, erst da begreift er, dass er zu weit gegangen ist. Zwar scherzt er erst noch mit ihr, als er sagt, dass sie doch wollte, dass er mit ihm spricht, versteht aber schnell, dass die Zeit der Scherze nun auch bei Bönisch vorbei ist. Als er die Tür vor sich schließt, wird es ihm gewahr. Und das Bild spricht für sich. Eventuell hat er gerade alles zerstört, was ihm in den letzten vier Jahren wichtig geworden ist. Die Arbeit, das Team, das Verhältnis mit ihr. Zuvor war er bereits auf ganz dünnem Eis gewandelt, als er sie fragte, wie sie denn aussagen würde und ihr quasi unterstellt, sie könne gegen ihn sprechen, weil sie seinen Job will, denn diesmal würde sie den sicher nicht ablehnen. “Und deshalb lass ich sie über die Klinge springen?”, fragt sie empört. “Wäre menschlich”, meint er. “Interessant, was Sie für ein Mensch sind”, stellt sie eher enttäuscht als ärgerlich fest. Später streichelt er gedankenverloren den Kaktus, den er von ihr bekommen hat. Als könne er damit irgendetwas richten. Oder, als wolle er nur mal schauen, ob er vielleicht gar nicht so wehtut, wie er es befürchtet.
Werner wollte hier vermutlich zeigen, dass wir alle den wahren, echten Faber noch nicht bis auf den letzten Quadratzentimeter kennen. Warum er Kossik abfüllt, ist mir indes schon klar. Ihm geht der Arsch auf Grundeis, er hat schließlich nur noch den Job, was er später sogar selbst sagt. Ohne ihn wäre er fertig: mit sich, dem Leben, den Erinnerungen und dem Stolz seiner Tochter, die ihn noch toller fand, weil er böse Jungs gefangen nimmt.
Es ist für mich die herausragende Szene des Films, als Bönisch ihn verweist, weil wir nun auch mal sehen, dass sie eben nicht alles deckt, versteht oder auch dann noch loyal ist, wenn er die Loyalität im Team mit Füßen tritt. Ist sie nicht, kann sie nicht, will sie nicht. So lässt sie ihn dann auch bis zum Ende des Films immer wieder auflaufen. Und als er fragt, wie er es reparieren könne und auf ihre Antwort (“gar nicht”) hin feststellt, dass die Situation jetzt dann wohl ein Totalschaden sei, freut man sich doch schon auf den nächsten Film. Es erinnert mich wieder mal ein klitzekleines bisschen an Rostock, wo auch mit diesem Hin und Her, mit diesem Tauziehen gespielt wird. Einen Film lang scheint alles gut, dann trümmern wir mal drauf und gucken, was an Teilen übrigbleibt und wie wir die wieder zusammensetzen, aber möglichst langsam, denn die Spannung im Team und in der Liebe soll ja bleiben. Das kann man so spielen, aber nicht ewig. Und das kann man auch nach neun oder 16 Filmen noch spielen, aber vielleicht nicht allzu viel länger, weil es sonst beliebig ist. Damit kritisiere ich gar nicht die Idee, dass man Faber mal wirklich von der Arschlochseite zeigt, denn meistens haben wir ihn bisher als Arschloch ja nur im Umgang mit Verdächtigen gesehen, und die finden wir als Zuschauer ja auch arschlochwürdig; meistens. Dass Faber Kossik so auflaufen lässt und der dumm genug ist, darauf hereinzufallen – ja, das ärgert mich massiv, als Faber immer weiter Schnaps bestellt und Kossik nichts merkt, das ist sehr weit draußen, sehr dumm, sehr naiv – das ist konsequent zu Ende erzählt. Hinter Kossiks Wut steht letztlich auch bloß der Wunsch nach Anerkennung, Lob, Wahrgenommenwerden. Und das gibt Faber ihm in diesem Moment. Bis er am nächsten Morgen merkt, dass er auf unterster Schiene verarscht wurde. Ganz ehrlich? Ich hätte ihm in diesem Moment am Bett den heißen Kaffee über die Locken geschüttet.
Besonders schön in diesem Zusammenhang, als Bönisch mit Dalay redet und ihr klarmacht, dass sie beide eigentlich nichts weiter als Babysitter für zwei Männer mit großem Ego sind. Willkommen in der echten Welt, Mädels! So ist es leider oft. Aber ihr macht das prima soweit. Ihr habt vor allem eine Engelsgeduld, einen Langmut, den ich schon lange nicht mehr hätte. Weiter so. Es ist ja auch unterhaltsam, ne?
Ja, viel geschrieben, aber noch kein Wort über die Episoden-Krimi-ichnennesieliebevoll-NEBEN-Handlung. Die Schießerei auf offener Straße zu Beginn des Films ist schon sehr imposant. Und auch beim zweiten Mal Gucken jetzt habe ich mich gefragt, wie oft sowas in Deutschland vorkommt. Halt gar nicht oder nur sehr selten, aber es ist trotzdem sehr eindrücklich und weist auch einige Parallelen zum Rostocker “Stillschweigen” auf. Kein Tatort ohne Rockerbandenkrieg oder so. Jede Reihe braucht einen. Dann sitzt auf einmal auch noch die Mafia im Boot und alles wird wieder mal viel komplizierter als auf den ersten Blick gedacht. Der Film ist für mich von der Krimi-Handlung her nicht der beste oder anders: Der zu lösende Krimi ist für mich nicht einer der Dortmunder besten, aber die Drumherum-Handlung, die ganze Geschichte um die Dienstaufsichtsbeschwerde trägt durch den Film und ist das eigentlich spannende Element. Natürlich bekommt auch der Kollege von der Dienstaufsicht sein verbales Fett von Faber weg. Als Faber ihn schnippisch von der Seite anmacht, entgegnet der Mann: “Wir machen hier alle nur unsere Arbeit.” Woraufhin Faber kontert: “Das haben sie im Dritten Reich auch gesagt.”
Fazit: Die hohe Qualität von “Hundstage” zu halten, war beinahe unmöglich, aber es war zumindest in Teilen möglich. Hier habe ich zum zweiten Mal so richtig das Gefühl, dass sich endlich mal etwas zuspitzt, aus- und aufgelöst wird, explodiert (aber dazu im nächsten Film mehr). Eigentlich wollte ich hier dann nur noch wissen, wie Faber das mit Bönisch jemals wieder richten will, und ich war furchtbar enttäuscht, als “Sturm” dann damit begann, dass Faber sich erst mal eine sehr lange Zeit hinter einer Jalousie in einen Raum mit einem Täter versteckt. Und dass dann was in die Luft geht und nie wieder drüber gesprochen wurde. Ja, ab jetzt geht es laaaangsam abwärts mit der Horizontalen. Ich weiß das noch, ich erinnere mich dran und freue mich deshalb gerade nicht allzu sehr auf die Filme nach “Sturm”. “Sturm” steht außer der Reihe, weil er einfach großartig ist. Überwältigend, anders, toll. Anders als in “Zahltag” überlagert das Tagesgeschehen in “Sturm” alles andere, sowohl quantitativ als auch qualitativ. Auch das macht “Zahltag” im Rückblick und Vergleich besonders, wie eine kleine Zäsur.
#10: Sturm
Bockstarker Beginn. Ich habe längst nicht alle Tatorte der letzten 50 Jahre gesehen (mitnichten!), aber das, was hier in den ersten fünf bis zehn Minuten passiert, ist so atemberaubend gut, so unfassbar großes Kino – dass es Kino hätte sein können. Das gilt übrigens auch für große Teile des restlichen Films. “Sturm” ist für mich an schlechten Tagen nur deshalb auf der Platz 2 der Dortmund-Liste, weil sich die Autorenschaft anscheinend überlegt hat, horizontal doch mal irgendwie einen Cut zu machen und gar nicht mehr darauf einzugehen, dass Bönisch und Faber gerade heftigen Streit haben, dass Kossik Faber hasst, was nur in drei Nebensätzen mit seinem Abgang nach Düsseldorf thematisiert, aber nie durchgesprochen wird, dass die Kommissars-Charaktere komplett auf der Strecke bleiben, nachdem man sich vorher drei oder vier Filme lang die Mühe gemacht hat, Konflikte aufzubauen, Potenziale zu entwickeln – nur, um sie dann jetzt nicht zu entfalten, sondern einfach direkt wieder im Keim zu ersticken. Ich hatte damals beim ersten Mal Gucken von “Sturm” am Ende die große, dicke Hoffnung, man gönnt den Kommissaren im nächsten Film eine Ruhepause. Die Chance, sich mal neu zu sortieren. Gerade nach dieser Explosion, die wir da am Ende sehen. Die Zeit zeigte: So kam es nicht. Und ich bin jetzt schon genervt von “Tollwut”, obwohl ich ihn noch nicht eingeschaltet habe. Ich weiß ja bereits, was passiert, bin kein Erstgucker. Und es kotzt mich sogar noch rückblickend an. Warum? Ich verstehe es nicht. Eventuell hatte man Angst vor der eigenen Courage. Dass man sich mit “Sturm” eine Auszeit gegönnt von all dem Gestreite, lasse ich noch durchgehen. Dass man offenbar diese großartige, spannende Geschichte im Block hatte und die SO erzählen wollte: geschenkt. Aber dass man es nicht geschafft hat, das alles, was sich in “Sturm” zusätzlich zu “Zahltag” noch angesammelt hat, gründlich, vernünftig und sinnvoll aufzulösen, macht mich ernsthaft fertig. Wenn es die Angst war, die getrieben hat, Angst davor, zu viel zu schnell zu erzählen, dann hat diese Angst offenbar wirklich eher gelähmt, als kreative Energien freizusetzen. Hiermit hat man sich leider definitiv keinen Gefallen getan. Und das geht ja nun leider in den folgenden Filmen auch so weiter.
Nun aber noch zum Inhalt: Wie zu Beginn bereits geschrieben, ist das hier ganz ganz großes Kino. Es gibt für mich an der Episoden-Handlung nichts, aber auch gar nichts auszusetzen. Ich bin ohnehin Fan von Felix Vörtler. In seinen Augen, seinem Habitus, seiner Stimme liegt immer so ein leicht deprimiert-melancholisches Tempre. Ich mag das sehr und kaufe ihm jede Rolle ab, weil er sie fast immer mit so einer seelenvollen Ruhe verkörpert, dass ich sofort glaube, dass er sich jetzt Muhammad nennt, als er sich Faber vorstellt. Großartig besetzt!
Die Szenen zwischen Faber und Hövermann sind herrlich in bester Kammerspielmanier inszeniert. Es ist ein Hin und Her. Hier der vermeintlich Gefährliche mit der Bombe am Leib, da der zynisch-sardonische Kommissar, der keine Angst davor hat, heute zu sterben. Es ist ein intensiver Schlagabtausch, der sich da entwickelt. Draußen die besorgten Babysitter-Kolleginnen Bönisch und Dalay, die letztlich den Fall mit straffer Organisation und Struktur dem Ende zuleiten. Hier Kossik, der die Lage unterschätzt und niedergeschossen wird. Als die drei Kommissare auf dem Platz vor der Bank stehen, kurz vor dem großen Knall, und sich das erste Mal seit Fabers Alleingang wiedersehen, fehlt mir eigentlich nur eine Gruppenumarmung. Es lässt sich aber angesichts des Totalschaden-Konflikts zwischen Bönisch und Faber schon komisch unbeholfen an, wie sie ihn beim Wiedersehen etwas plump mit einem Armklopfer begrüßt. Daher wäre die Umarmung eine Nummer zu groß geworden. Richtig mitgelitten habe ich in der Szene, als Nora am Telefon anhören muss, dass Daniel lebensgefährlich verletzt ist. Als sie dann kurz zusammensackt und weint; es ist herzzerreißend.
Ebenso in der Spiegelszene dazu, als Faber über das Telefon mitanhören muss, wie Bönisch auf Kossiks Verletzung reagiert. In seinem Gesicht sehen wir dann erst ihren Schmerz und dann seinen durch ihren. Und wieder einmal ist die Kamera auf den Punkt und spiegelt den Inhalt auch im Bild. Wie gesagt: Hier stimmt einfach alles. Dass man sich am Ende dazu entschlossen hat, nach der Explosion erst einmal eine gute Minute oder mehr den Ton rauszunehmen, fand ich damals so dermaßen gelungen. Die Bilder reichen. Es braucht keine dauerpiependen Sirenen mehr wie am Anfang. Es ist sozusagen der Kontrapunkt. Was laut begonnen hat mit Scherbenklirren und Sirenenläuten endet still, leise, aber noch viel dramatischer. Welch ein Schlusspunkt unter ein filmisches Meisterwerk! Den Film kann man immer und immer wieder gucken, er wird niemals alt oder schlechter. Maximal macht er nur immer grimmiger, weil man als Fan vielleicht immer wieder verzweifelt hoffen würde, dass sie nun doch endlich mal über ihre Probleme reden, was sie natürlich aber auch beim zehnten Mal nicht tun werden. ABER: Ich hätte mir sehr gewünscht, dass sich Faber am Ende noch mal umdreht und Bönisch anguckt. Als kleine Geste. Gerne, ohne eine Miene zu verziehen. Sicherlich schockiert, explodiert eben. Aber wenigstens mal kurz gucken, ob die Kolleginnen okay sind.
Fazit: Ganz klar meine Nummer 2 und an guten Tagen eine Nummer 1 der Dortmund-Liste. Aus den oben genannten Gründen. Davon würde ich gern wieder mehr sehen, aber natürlich bitte bitte bitte mit mehr Fokus auf den Charakteren, deretwegen wir das Drama doch am Sonntagabend einschalten. Wollte ich Ermittler ohne horizontale Geschichte, dann würde ich Dresden gucken oder Franken oder Frankfurt.
#11: Tollwut
Hätte Jürgen Werner einen “writers’ room” in seinem Kopf, also ein paar Autoren, die um einen Tisch sitzen und den Plot des neuen Krimis ausbaldowern, dann hätte das bei “Tollwut” ungefähr so ausgesehen.
Jürgen: “Mädels und Jungs, ich habe da eine Idee.”
Die Runde seufzt einvernehmlich. Der Jürgen wieder. Naja, immerhin hat er ihnen die tollen Charaktere geschenkt, hören wir ihn uns erst mal an, vielleicht hat er wirklich eine gute Idee, wie man die Explosion und die Konflikte der letzten Folge ganz gut weitererzählen kann.
Jürgen: “Also.. wir vergessen das mal alles mit der Explosion und den Konflikten der letzten Folge..”
Die Runde seufzt einvernehmlich. Der Jürgen wieder. Naja, immerhin hat er ihnen die tollen Charaktere geschenkt. Ob man noch weiter anhören sollte, was er zu sagen hat nach diesem Start?
Jürgen (wundert sich über das betretene Schweigen): “Wir machen was mit Tollwut im Gefängnis, bringen den Jonas Zander als infizierten Gefängnisarzt zurück und am Ende ist Markus Graf dann wieder auf freiem Fuß.”
Ein Teil der Runde legt die Stirn in Falten, ein paar andere der Autoren denken eifrig nach.
Autor 1: “Jürgen, ich weiß nicht so recht. Wir haben da noch ein paar offene Fragen aus “Sturm”, sollten wir die nicht mal erst beantworten? Beispielsweise der Konflikt zwischen Bönisch und Faber, den haben wir nie aufgelöst und zugunsten der Story hintangestellt, aber da schwelt doch noch was..”
Jürgen: “Ach, das hat die jetzt vergessen. Die ist froh, dass er lebt, das muss man nicht weitererzählen.”
Autor 1: “Ich weiß nicht, Jürgen, Du erinnerst Dich, dass wir das in “Zahltag” als “Totalschaden” bezeichnet hatten? Mit einem Totalschaden kann man normalerweise nicht mehr weiterfahren.”
Jürgen: “Das sehe ich nicht so eng. Wir müssen jetzt nach vorn gucken, was anderes erzählen und vergessen, was war.”
Autor 2 schaltet sich ein: “Du weißt schon, dass wir hier horizontal erzählen?”
Jürgen: “Klar, deswegen bringe ich ja den Markus Graf zurück. Der ist übrigens diesmal zu schlau für Faber und wird ihn übertölpeln, weil Faber sich wieder mal mit der toten Frau und Tochter ködern lässt.”
Die Runde seufzt.
Autor 3: “So dumm ist Faber nicht mehr.”
Jürgen ignoriert den Einwand: “Und dann hatte ich noch eine tolle Idee für Bönisch.”
Die Runde seufzt und reißt die Augen auf. Er würde doch nicht schon wieder….
Jürgen: “Sie schenkt dem sterbenden Kollegen Zander einen Mitleidsfick kurz vor seinem Tod.”
Ein paar Autoren legen resignierend den Kopf in ihre Hände und starren betreten auf die Tischplatte.
Autor 1: “Ist das nicht ein bisschen viel?”
Jürgen dreht jetzt richtig auf: “Ach, und noch eine Idee, wo wir gerade drüber reden. Ihr habt ja recht, die Explosion können wir nicht komplett außen vor lassen. Wir machen Nora ein bisschen weird und schreiben ihr einen fetten Konflikt mit Faber auf den Leib. So als kleine traumatische Belastungsstörung.”
Autor 2: “Und wie lösen wir das auf?”
Jürgen: “Erst mal gar nicht.”
Autor 3: “Also, die Themen, die wir schon haben, aber nicht auflösen wollen, ignorieren wir jetzt weg, stattdessen machen wir drei neue Fässer auf, die wir dann auch wieder nicht schließen?”
Jürgen: “So eng sollte man das nun nicht sehen. Das mit der Tollwut, das wird großartig.”
Die Runde seufzt.
Autor 1 fragt ängstlich mit leiser Stimme: “Noch mehr Ideen, Jürgen?”
Jürgen: “Wir platzieren im Gefängnis einen Undercover-Bullen, Markus Graf malt in seiner Zelle freizügige Bilder von Fabers Tochter und weitere Häftlinge sterben an einer Terpentin-Vergiftung. Die Auflösung brauchen wir dann, um zu erklären, dass es eigentlich Graf war, der Faber nur gelockt hat, um ihn zu ärgern, und um dann auszubrechen und Faber wie einen Deppen aussehen zu lassen. Allerdings muss Graf total hölzern, gar nicht gruselig und so richtig schlecht gespielt daherkommen. Dann wird es glaubwürdig, Hannibal Lecter für Arme sozusagen. Einwände?”
Die Runde seufzt und sagt einvernehmlich: “Nein. Aber dürfen wir uns noch was wünschen?”
Jürgen: “Ja?”
Runde: “Darf Faber an seinem Kaktus spielen? Vielleicht zweimal?”
Jürgen überlegt: “Na gut, können wir machen. Und das mit der Tollwut, das wird…”
Runde: “…großartig..”
Nein, mal ernsthaft, was ist das bitte? “Tollwut” ist von Anfang bis Ende ein einziges Problem. Die ersten 20 Minuten lassen sich noch relativ zügig, gut und geplant an. Trotzdem wartet man vergeblich gebannt darauf, ob nun endlich mal ein Wort darüber gesprochen wird, dass zuletzt die halbe Innenstadt in die Luft geflogen ist und sie drei zufällig danebenstanden und aus Versehen überlebt haben. Doch nichts. Es dauert fabelhafte 69 Minuten, ehe die Sprache darauf kommt. Ich weiß nicht, was man sich hierbei gedacht hat. Erzählt man nun horizontal oder nicht? Was ist mit dem Konflikt Faber/Bönisch geworden? Sie hat es nun doch einfach runtergeschluckt? Wusste man keinen Weg raus? Und wieso tickt Nora auf einmal aus? Doch PTBS? Die aber gar nicht so genannt wird? Stattdessen ein kleiner Aussetzer beim Feuer in der Zelle und ein besorgtes Gesicht der Kollegin später in der Teeküche? Und eine Nora, die sauer auf Faber ist und ihn das bei jeder Gelegenheit spüren lässt, ohne dass uns mal mitgeteilt wird, was genau das Problem ist? Es klingt an, dass sie findet, er sei an Kossiks Weggang schuld, aber emotional kann ich es null nachempfinden, weil sie es selbst nie verbalisiert. Später gibt es dann ein vermeintlich klärendes Gespräch mit Faber im Auto, aber außer unfassbare Beschämtheit (gibt es das Wort?) spüre ich auch da nichts. Es ist so ein Moment, der mich mit Fremdscham erfüllt. Ich kann nicht hin-, aber auch nicht weggucken. Der unbeholfene Vater Faber, der verzweifelt versucht, der Kollegin zu erklären, dass er doch eigentlich ganz nett ist. Die junge Kollegin, die schon so in ihrem Zorn lebt, dass sie den Ausgang nicht mehr findet.
Und dann diese Mitleidfickszene zwischen Bönisch und Zander. Ernsthaft, dass Bönisch gerne Sex hat, das wissen wir ja nun, aber sie würde niemals nicht mit einem befreundeten Kollegen in die Kiste steigen, um ihm seinen letzten Wunsch zu erfüllen, nachdem sie ihn in den ersten Episoden mehrfach abgewiesen hat. Das ergibt überhaupt keinen Sinn. Und “so eine” ist sie dann irgendwie auch nicht. Was würde Faber sagen?
“Sie kloppen jeden in die Tonne, der nicht sein Leben wegwirft, um einen Mörder zu fangen”, sagt Zander zu Faber. Das ist vielleicht noch einer der interessantesten Sätze in einer der interessantesten Szene, kommt direkt nach dem zweimaligen Kaktusgedrehe.
Ich kann mich über den Film so in Rage reden, dass ich keine weiteren Zeilen mehr brauche, um auf die Krimihandlung einzugehen, an deren Ende ohnehin der Name Markus Graf steht, was alles, was vorher ermittelt und besprochen wurde, obsolet macht. Wen interessieren schon Ratten und Drogen im Knast, wenn man sich stundenlang darüber aufregen möchte, dass ja doch nur der Antagonist alles eingefädelt hat, sein Gegenspieler aber nicht den Bruchteil einer Sekunde ahnt, was vor sich geht, obwohl er ihn vorher intensivst verdächtigt und sich darüber mit den Kolleginnen zerstritten hat? Herrje!
Fazit: Nein, das ist nichts. Man kann in einer horizontalen Geschichte die Uhren nicht auf Null drehen. Dann gebt ihnen die Eiszeit, die sich angedroht hat, verbalisiert das kurz, aber lasst sie dann bitte kurz einander scheiße finden. Klappt doch im hohen Norden auch. Mir ist nicht klar, wieso man sich überhaupt zu diesem Schritt entschieden hat. War alles schon zu vertrackt? Hatte man keine bessere Idee mehr auf Lager? Das Horizontale ist doch gerade der Versuch, die Stimmung “vom letzten Mal” einzufangen, wieder aufzunehmen und zu gucken, was seitdem passiert ist. Hier wirkt es so, als hätten die Charaktere zwischenzeitlich in einer Eiskammer oder wahlweise bei einer Gehirnwäsche gesessen. Daher rangiert “Tollwut” leider wirklich weit unten auf meiner Liste. Und von Markus Graf fange ich gar nicht erst an. Der ist so dermaßen hölzern gespielt, dass Pinocchio dagegen die reinste Pippi Langstrumpf ist. Ich will den Schauspieler wirklich nicht beleidigen, aber ich finde es unterirdisch schlecht. Was soll ich machen? Ich hoffe, es waren einfach nur schlechte Regieanweisungen oder eine schlechte Ausarbeitung oder Erarbeitung des Charakters. Hiermit hat man sich jedenfalls keinen Gefallen getan. Schade!
#12 Tod und Spiele
Ja, also, ich fand es beim ersten Mal Gucken damals gar nicht mal so geil, dass Martina schon wieder durch die Gegend bumst. Sorry, aber das wird langsam zu einfach, ein sich wiederholendes Muster, das sich langsam ein wenig abnutzt. Ja, wirrer Einstieg in den Film “Tod und Spiele”, aber ich hatte mich gerade erinnert, welche Details an dem Film mich gestört haben. Dass der Oligarchen-Russe unbescholten mit dem Junge und einem Koffer davonbrausen darf, fand ich maximal grenzwertig. Dass Martina in einem Lieferwagen mit dem Typen Sex hat, weil beide nach dem blutigen Kampf im Käfig so erregt sind, fand ich maximal verstörend. Ansonsten aber habe ich an Stauchs Version von Faber und Bönisch wenig auszusetzen. Da war viel Witz, viel Subtiles und gar nicht mal so Subtiles drin. Wunderbare Regie, die Anna Schudts bezaubernde Nicht-Blicke eingefangen hat. Das ist rundherum eine absolute Steigerung zu Tollwut und knüpft so ein minibisschen an Sturm an. Ich vermisse aber natürlich nach wie vor die unter Tonnen Zement verschütteten Konflikte, die einfach nicht wieder zur Sprache gekommen sind. Vielleicht ist das wie im echten Leben, wo man ab einem gewissen Punkt einfach über die Streitpunkte hinweggeht, weil man sie eh nicht auflösen kann, aber leider ja im Job aufeinander angewiesen ist. Also winkt man gedanklich ab. Aber einen “Totalschaden” winkt man gedanklich halt nicht ab. Ich würde gerne wenigstens von Martina mal EINEN Satz dazu hören. Warum sie damit jetzt so umgeht, wie sie damit umgeht: nämlich gar nicht. Vermutlich kann sie deshalb auch nichts dazu sagen. Ich als Zuschauer bin aber unzufrieden damit. Zumal Faber mit ihr dann doch wieder recht ordentlich flirtet und andeutet, dass er ja schon gerne mit ihr schlafen würde, dass er ohne sie nicht so recht leben kann und dass sie sein Kompass ist, was sie mit einem “Aha” zur Kenntnis nimmt. Sie widerspricht gar nicht, daher klingt das “aha” schon eher nach “okay, finde ich gut, aber noch nicht jetzt”. Und wenn sie doch innerlich beim “Totalschaden” ist, dann passt das hier für mich nicht zusammen.
Außerdem ist Faber nicht nur in dieser Szene eifersüchtig für Drei, was er natürlich weder zugibt noch abstreitet, sondern es milde weglächelt. Sie weiß es eh, da bringt eine Lüge ja auch nichts mehr, so sieht sein Gesicht aus. Richtig prägnant ist dann die letzte Szene vor dem Hotel. Er lächelt (übrigens schon bei der Verabschiedung von Klein-Khan), dann lächelt er noch einmal und sie stellt fest, dass er lächelt. Es folgt ein kleines romantisch-witziges Gezänk. Und schließlich lacht er und strahlt sie an. Das schafft nur Bönisch. Und dass das so ist, merkt er in diesem Moment, sie merkt es auch. Dann wird es kurz ein wenig betreten-unangenehm-peinlich und die beiden gehen ihres Weges. Dass er ihr noch die Tür aufhält und sie lachend einsteigt – vielleicht ist das die Richtung, in die die beiden dann ab sofort gehen.
Zum Film: Ich fand es damals unheimlich gut gemacht, dass da Asche-Reste in einem leeren Fabrikgelände auftauchen. Das war mal was anderes. Ich glaube, so ganz vollumfänglich habe ich nicht verstanden, wer da jetzt die toten Kämpfer entsorgt und wer diese Kämpfe veranstaltet und letztlich schuldig war. Aber ich war beide Male Gucken so mit Faber und Bönisch beschäftigt (danke, Wolfgang Stauch), dass die Episoden-Neben-Handlung mich nicht weiter interessierte. Und das ist mir leider schon öfter passiert, auch mit Rostock. Was interessiert mich der Krimi, gebt mir mehr Szenen mit den Kommissaren. Und davon hat “Tod und Spiele” jede Menge Gutes, zu Analysierendes. Rick Okon gibt seinen Einstand als Jan Pawlak und verabschiedet sich erst mal mit “bis morgen um 8 Uhr”, Nora ist genervt, weil sie jetzt die einzige Oberkommissarin ist und Babysitter spielen muss (kennt sie ja schon). Und der wortlose Junge spielt seine Rolle einfach nur top.
Auch einer meiner Lieblingsdialoge:
Kombarov: “Ich hab’ Geld, also kauf’ ich.”
Bönisch: “Ich hab’ Beine, als lauf’ ich.”
Kossik würde übrigens antworten: “Ich hab’ ne Leber, also sauf’ ich.”
Dalay: “Ich hab’ keinen Bock mehr, also schnauf’ ich.”
Faber: “Ich lieb’ Bönisch, also weißichauch nich.”
Fazit: Absolut eine Steigerung zum Film davor. Sehr unterhaltsam und sehenswert, eindrucksvolle Bilder. Überzeugende Kamera und Regie, wobei hier mehr Standard als Innovation, was aber nichts Schlechtes ist. Ja, wie man’s macht, ist es für mich falsch, ich weiß. Guter Fall, aber zu viel Faber/Bönisch und sofort bin ich abgelenkt. Schlechte Fälle finde ich schnell langweilig, dann brauche ich starke Dialoge, die kommen dann nur nicht. Während in “Tollwut” also irgendwie sehr viel falsch lief, war hier so gut wie alles richtig, aber der Fall an sich interessierte mich dann doch nicht. Ich habe es halt auch nicht so mit blutigen Martial-Arts-Themen. Die Regie gefällt mir aber, und mir gefällt auch was Hartmann/Schudt mit ihren Charakteren machen. Hier merkt man so richtig, wie sie sich eingelebt haben. Und man merkt auch den Galopp, den ich irgendwann mal angemerkt hatte – hier sind sie Jürgen Werner definitiv schon ein paar Meilen enteilt. Fast egal, wie weit er das Lasso auswirft, er wird sie vielleicht nie wieder einfangen.
#13: Zorn
Ich erinnere mich, dass ich damals schon nach fünf Minuten vom Film enttäuscht war. Ich kann rückblickend nicht mehr sagen, woran das lag. Und jetzt, beim zweiten Mal Gucken bin ich selbst irritiert, denn so schlecht ist er gar nicht. Ich glaube, was mich damals wie heute irritiert hat, ist, dass immer noch und nachhaltig der Finger auf der Reset-Taste lag. Und der muss sich so dermaßen verhakt haben, dass mir jetzt erst aufgefallen ist, dass Noras Panikattacke ihre Ursache in der Bombenexplosion von “Sturm” hat. Das wird aber nie angesprochen. Ihr ganzer Zustand wird einerseits extrem in den Vordergrund geschoben; der ganze Konflikt mit dem neuen Kollegen, ihr Gereiztsein, andererseits wird er aber gar nicht thematisiert. Niemand spricht wirklich mit ihr darüber, sondern man nimmt stirnrunzelnd zur Kenntnis, dass sie halt jetzt mal so drauf ist. Der beste Moment ist noch, als Faber sie fragt, ob er den neuen Kollegen rauswerfen soll. Denn das ist genau das, was sie hören wollte. Sie will gar nicht, dass der Kollege geht, sie will einfach nur mal hören, dass sie noch geliebt, gebraucht, gesehen wird, sie als einzige Oberkommissarin. Sie fühlt sich durch Pawlaks Anwesenheit provoziert, durch seinen Dienstgrad, durch seine Art, einfach Feierabend zu machen, während sie, die Oberkommissarin Überstunden schiebt. Und Fabers Angebot ist alles, was sie braucht. Natürlich will sie nicht, dass Pawlak geht. Das ist insgesamt schon stark formuliert und gezeichnet, aber wenn man die Filme wie üblich eben nur alle sechs Monate bekommt, dann ist es sehr schwierig, hier richtig zu assoziieren. Und das gelingt noch schlechter, wenn einfach nie darüber gesprochen wird, was gerade wirklich los ist. Das ist für zweimal im Jahr einfach zu subtil. Noras Panikattacke ist jedoch super gespielt, muss ich mal so sagen. Ich habe vor dem Bildschirm beide Male mitgejapst. Ein wirklich gruseliges Gefühl.
Und das gleiche Problem habe ich ja nach wie vor mit dem ungelösten “Totalschaden” zwischen Faber und Bönisch. Da sich beide aber tatsächlich in “Zorn” wie ein altes Ehepaar benehmen, sind sie es vielleicht auch, da fallen so Totalschaden-Bemerkungen ja gerne öfter mal. Dann schläft man drüber und gut ist’s, irgendwie hat man sich ja arrangiert mit den Macken des anderen. Dass Martina ihm sogar Waschzeug ins Revier bringt, well done. Gute Ehefrau! Aber nein, wir sind hier irgendwie in einer fiktionalen Krimiwelt. Ich finde schon, dass man da mal hätte einen Satz einbauen können. Es entschädigt mich nur minimal, dass beide aus dem gleichen Bierglas trinken, sie sich gegenseitig foppen, Bönisch ein bisschen eifersüchtig ist, was Faber diebisch freut und Martina am Ende mal wieder wütend und vor allem sprachlos aus dem Büro stapft. Vermutlich ja wieder ohne Konsequenzen.
Unabhängig davon: Was soll diese Pseudo-Episode mit dieser Gallwitz-Person, die ich übrigens komplett überzeichnet finde? Auch beim zweiten Mal Gucken finde ich die Figur nur unangenehm. Das soll so, schon klar, aber wieso fährt Faber auf SOWAS ab? Im Übrigen war ich bei der Handlung spätestens raus, als es plötzlich um V-Männer, nicht funktionierende Sprengkörper und Reichsbürger ging. Nicht falsch verstehen: Ich LIEBE Götz Schubert! Grandioser Schauspieler, kann alles spielen und sieht dabei immer gut aus. Aber irgendwie wurde der Film dadurch seltsam überladen. Das Drama lag für mich immer in der Konstellation, dem Konflikt zwischen den “Bergleuten”. So habe ich mich gedanklich irgendwann ausgeklinkt und einfach nur noch Schubert und Faber beim Kammerspielen zugesehen. Und das war am Ende ja auch nicht viel schlechter.
Bleibt die etwas verwirrende Nebenhandlung mit Martinas Rückenschmerzen, Fabers Reiki-Hinweis und ihrem Versuch, sich des Problems auf diese Art zu entledigen. Ich vermute, man hatte noch Zeit übrig und wusste nicht so recht, wie man die füllen sollte. Geben wir der Frau doch mal Rückenschmerzen, dachte man vielleicht. Die Szenen sind doch ganz witzig, ja. “Martina, Tochter des Mars. Die Kriegerische, die Tapfere.” Joa, damit ist doch auch alles über sie gesagt, was man wissen muss? Als der Reiki-Mann ihr dann sagt, sie möge sich doch bitte entspannen und es genießen und sie sarkastisch antwortet, dass das ihr Spezialgebiet sei, blicken wir dann doch noch mal kurz in ihre einsame, verlorene Seele.
Fazit: Kann man so machen, muss man vielleicht nicht. Vieles ist nicht so stimmig in “Zorn”, über das Horizontale reden wir besser nicht mehr. Wir befinden uns hier gerade in einer steilen Vertikalen, anders kann man es nicht nennen. Stark fand ich den Einstieg mit langsam an Farbe gewinnenden Bildern, startend mit schwarz-weiß. So ähnlich geht es dem Film auch. Nach und nach werden die Figuren zu Leben erweckt, bis es dann eindeutig zu bunt und übersättigt wird. Sehr passend. Das ist schon alles sehr solide, was man hier sieht, aber mehr eben auch nicht. Schön ist aber doch irgendwie auch, dass selbst ein schwächerer Dortmunder Tatort immer noch besser ist als ein sehr starker Tatort aus… anderen Städten.
#14: Inferno
Kennt ihr dieses Meme, was vor vielen Jahren mal steil ging, aber auch heute noch rege in Gebrauch ist? Älterer Herr, weiße Haare, Bart, verstört-unsicherer Blick? Ja, ich meine natürlich Hide the Pain Harold (viel Spaß beim Googeln, aus Copyright-Gründen füge ich hier besser keins direkt ein). So geht es mir nach fünf Minuten “Inferno”. I hide my pain. So geht es mir dann auch nach 45 Minuten, nach einer Stunde und nach 90 Minuten, wobei nach dem Abspann nicht mehr viel mit Verstecken ist. Da ist nur noch Schmerz in meinem Kopf. Und die Frage: What the fuck?
Aber fangen wir vorne an. Die ersten 15 Minuten des Films sind schon so falsch, dass ich gar keine Lust mehr habe, weiterzuschauen. Das Ding mit filmischen Ideen ist ja: Sie sind nur dann gut, wenn man sie nicht erklären muss. Dann gehen sie auf, dann funktionieren sie. Ich habe nun also den Film damals vor der Erstausstrahlung gesehen und heute noch mal. Und keine Pressemappe dazu gelesen. Nun also damals wie heute die Frage: Warum? Faber läuft durch das Krankenhaus (wo sich der Tatort befindet) wie Columbo auf Droge, stellt sich nur vor, wenn er muss, reißt Türen auf, steht neben sich und dem Fall. Bönisch schmeißt ihm kurz zwei Sätze ins Gesicht, der Ehemann, der Ehemann. Ach so. Wo wollte sie hin, was wollte sie tun? Nora befragt die Schwester, die eine kranke Taube im Schwesternzimmer pflegt. Und als sie das Tier sieht, spricht sie den epischen Satz: “Aber das ist verboten, oder?” Och, naja, wer weiß. Ne? Pawlak irrt auch irgendwo rum, wahlweise in der Kantine, da gibt’s Proteine für den Mann. Die erste Viertelstunde ist unfassbar konfus und alle scheinen unglaublich schlechte Laune zu haben. Sie sind giftig mit sich, mit den jeweils anderen, mit allen aus dem Team. Jeder mit jedem. Ich blicke. Nicht. Mehr. Durch. Also, Bönisch ist wohl noch sauer auf Faber vom letzten Film, als er den Fall “Bergmann” zu den Akten gelegt hat für einen Hinweis auf Markus Graf. Na gut, verstehe ich. Faber ist neben sich, weil er den Hinweis bekommen hat, oder? Beide sind irgendwie nur noch Hüllen, da ist gar keine Nähe mehr, kompletter Rückzug. Was da war, ist da nicht mehr. Und keiner weiß, wieso. Denn darüber wird nicht mehr geredet. Es fehlt eine Zwischen-Meta-Ebene, kann ich das so nennen? Es wird überhaupt nicht erklärt, wieso hier wer wie drauf ist. Dass Nora zwei Jahre (!!) nach der Bombe mal den Hinweis bekommt, sie möge was wegen ihrer Panik unternehmen, erklärt dann auch ihr Verhalten in den letzten drei Filmen, right? Es finden fast keine Gespräche statt. Dass Bönisch sauer ist, sieht man, aber die Zeilen dazu hat man ihr verboten. Schade! Dass Faber das alles so hinnimmt, auch dafür gibt es keine Zeilen. Mehr als schade. Und dann, in der einzigen Szene, in der sich Faber öffnet, blockt Bönisch komplett ab. Nö, seine Scheißträume interessieren sie nicht. Aber warum, das sagt sie nicht. Kein klärendes Gespräch, nicht mal ein “ich bin sauer, weil..” Nichts. Und ich verstehe es nicht.
Ach ja, und dass die vier Kommissare wie wilde Hühner durch das Krankenhaus flattern, soll offenbar ein bisschen den hektischen Krankenhaus-Notaufnahme-Alltag spiegeln und gleichzeitig zeigen, dass das bei der Kripo auch so ist. Ey, ähm, sorry, darauf wäre ich nicht gekommen. Und wenn ich eine Erklärung brauche, um das zu verstehen, dann ist doch alles verloren.
Der Film ist übrigens meines Erachtens kinematographisch brilliant, weil es so unfassbar hässlich ist. Das Krankenhaus ist hässlich, das eingeblendete Wohnhaus ist hässlich. Die Farben sind grausam, die Kontraste sind abstoßend. Hier passt sich Form dem Inhalt an, ne?
Allerdings gibt es dann doch eine Szene mit Faber und Bönisch, die es immer wieder in meine Top 3 schaffen würde. Es beginnt schon, als Bönisch am Krankenhaus ankommt, um mit Faber die Tat nachzustellen. Sie wirkt fast freudig erregt, dass es jetzt endlich losgeht. Als ob sie darauf wartet, dass das Eis bricht. Aber Faber kriegt es dann nicht so hin wie sonst und bricht ab, obwohl Bönisch voll drin ist und mit einer Plastiktüte über dem Kopf sehr glaubhaft nachstellt, dass sie gerade erstickt. Das ist dem Chef dann doch zu viel und er flieht; wie so oft in dieser Folge.
Emotional passt aber nichts zusammen. Einfach nichts. Und zu wissen, dass auch nichts davon in “Monster” zur Sprache kommt, macht die Sache nur noch lächerlicher. Man verliert die Lust beim Gucken. Und ich habe mich gefragt, ob es da keine Leute gibt, die sich um Contuinity kümmern und mal irgendwie sagen: “Ja, könnt ihr so machen, ist dann aber halt kacke.” Die Unaufgelöste-Konflikte-Liste hat inzwischen viele Punkte. Und ja, ich kann mich davon abfinden, dass nichts davon jemals wieder aufgegriffen wird, aber manches hätte müssen. Und das macht Dortmund seit “Sturm” leider so viel schlechter als Rostock. Bleibt euch doch einfach treu.
Darin eingeschlossen ist auch die Schlussszene. Ich könnte auch beim zweiten Mal kotzen, als die Ärztin zu Bönisch sagt, dass er schon nicht sterben wird, weil mir in dem Moment klar wird, dass das ganze Thema nie wieder zur Sprache kommen wird. Angefangen mal wieder bei einem Alleingang des Chefs – den ich, sorry, diesmal nicht nachvollziehen kann. Dass sich Fabers ganze Wut in eine Richtung kanalisiert und er bereitwillig in kauf nimmt, verletzt zu werden, hm. Es fällt immer wieder mal im Film die Phrase “Ich will leben”. Ja, Faber will leben, er will damit klarkommen. Aber stattdessen sucht er dann doch erst mal wieder den Tod, den Absturz, das Kaputtmachen. Und wieder wird nichts erklärt. Kein karthatischer Moment, keine Auflösung, keine Chance. Nein, danke.
Fazit: Ein Fazit wäre zu viel der Worte. Daher nur kurz wie oben erwähnt: “Kann man so machen, ist dann aber halt kacke.”
#15: Das Team
Schon beim ersten Mal Gucken wusste ich: “Millionen werden es hassen.” Impro-Tatorte sind halt nicht jedermanns Sache. Ich kann es verstehen, ich fand die Versuche aus Ludwigshafen auch eher semi-optimal gelungen. Hier hat man nun anderes Terrain betreten und zieht die Nummer so halb kammerspielartig auf, mit einer eigentlich großartigen Besetzung. Allerdings stelle ich jetzt beim zweiten Mal gucken fest: Nicht jeder kann Impro, nicht jeder sollte impro. Ben Becker beispielsweise hat seine Schiene: laut, rumpoltern, exzentrisch und divahaft rumgalern, möglichst so, dass ihn alle hören. Das ist eine einfache Masche, die natürlich funktioniert, weil sie funktioniert. Wenn man sie bei Becker aber schon hundert Mal gesehen hat, ist es langweilig. Auch Elena Uhlig wirkt seltsam ruhig, spricht wenig, erst zum Schluss kommt sie ganz langsam in Tritt, aber wirklich sehr langsam.
Und ich musste lachen, als ich letztens ein Insta Live mit ihr und Anna Schudt sah und Uhlig sagte, dass der Tatort gar nicht mal so gut war und Schudt antwortete, dass sie den schon wieder vergessen habe. Ja, so ungefähr sieht es auf dem Bildschirm auch aus. Schudt braucht sehr lange, bis sie die Martina in sich findet, aber als sie sie dann endlich so richtig gefunden und freigelassen hat, trifft sie eigentlich ihre Figur am allerbesten auf den Punkt. Es ist eine Freude, ihr zuzusehen. Für mich räumt sie die Bude da auf und lässt auch Jörg Hartmann alt aussehen, der immer wieder nur feststellt, dass er seinen Beruf an den Nagel hängt, weil er (also, Faber) den Instinkt verloren hat. Auch wenn Faber dann irgendwie den Fall löst, vielleicht eher zufällig.
ABER: Charly Hübner und Bjarne Mädel als Gebrüder Scholz, Gott, das ist einfach nur grandios. Klar, die beiden hatten ein paar Informationen als die anderen Schauspieler und somit mehr Boden, auf dem sie wandeln konnten. Aber dennoch: Den beiden könnte ich stundenlang zugucken, es ist herrlich. Und ja, genau so sind Coaches, die Seminare dieser Art geben. Also: Danke!
Es ist also eigentlich gar kein richtiger Dortmunder Fall, sondern Bönisch/Faber sind da mehr durch Zufall reingeraten und der Eine wollte ohne die andere nicht hin. Oder umgekehrt, man weiß es nicht so recht. Auch wenn sie es erklären. Bönisch spielt vor, wie sie Faber eine Gabel in den Hals rammt, gut, die Emotionen müssen irgendwo hin, später beim Speeddating bin ich beim ersten Mal Schauen dann fast vom Stuhl gefallen, als Bönisch Faber ein “ich brauche Sie” entgegenraunte. Den Grund dafür durften wir nicht mehr hören, danke, Charly, aber das war schon ein krasses Geständnis, das direkt im Anschluss durch Fabers “ich liebe Sie” getoppt wurde. Wir dürfen jetzt wohl davon ausgehen, dass dieser Film in einem Paralleluniversum spielte, in dem zuvor ein paar Mal öfter als bisher in unserem Universum geschehen über die Konflikte gesprochen wurde, die sich so über die Zeit angesammelt haben. Nur so ergibt das irgendwie Sinn.
Ohne Dalay und Pawlak ist es natürlich kein echter Dortmunder Tatort, Spaß machte das trotzdem, unterhaltsam war es auch. Und ich bin immer mehr begeistert von Anna Schudt, die durch den Emmy-Gewinn irgendwie befreiter wirkt. Sie muss sich nichts mehr beweisen und tut es deshalb allen anderen. In diesem Film einmal mehr. Bönisch dreht noch richtig auf, und manche solcher Szenen wünsche ich mir für sie auch wieder in den regulären Filmen.
Fazit: Sehr sehr unterhaltsam. Und leider bin ich, sobald Charly Hübner irgendwo dabei ist, sowieso verloren. Schwierig zu bewerten, wie dieser Film sich letztlich in die Dortmunder Reihe eingliedern lässt und ob überhaupt. Dafür weiß ich bis jetzt zu wenig darüber, wie es weitergeht. Denn der Anschlussfilm “Monster” wurde VOR “Das Team” gedreht, aber halt danach ausgestrahlt. Die Zukunft wird es zeigen, vielleicht.
#16: Monster
Den Einstieg finde ich extrem gut gelungen, weil ich es mag, wenn Bilder sprechen und wenig gesprochen wird. Um es von weiter oben aufzugreifen: Wenn eine filmische Idee funktioniert, brauche ich keinen Erzähltext. Und das klappt hier super. Die ersten zehn bis zwölf Minuten mag ich sehr. Das erste kleine Fragezeichen über meinem Kopf habe ich, als Graf insistiert, dass Faber das Handy wegwirft, nachdem das Gespräch mit Bönisch schon lange beendet ist. Verstehe ich nicht. Schön ist, dass Faber den halben Alleingang diesmal nicht allein beendet, sondern Verstärkung anfordert. Endlich! Der Sturz vom Hochhaus, joa, naja, ich brauche so etwas nicht zwingend, aber nach all der Spannung, die man inzwischen mit dem Dach-Bild seit Anfang an aufgebaut hat, wurde es Zeit, dass sowohl Graf als auch Faber endlich mal vom Dach “fallen” oder meinetwegen springen. Es ist ja ein Abschied von der Geschichte Graf, zumindest vom größten Teil, somit beenden die beiden Sprünge auch diese Handlung. Wie Faber und Bönisch damit umgehen, dass sie Graf am Ende erschießt, erscheint fraglich. Aber wenn man in die Horizontale der letzten vier Filme guckt, ist davon auszugehen, leider, dass darüber nie wieder gesprochen wird, weil, da war ja nichts. Stichwort: Totalschaden. (sorry). Jedenfalls finde ich, dass Martina noch mehr als einen gut hatte, nachdem er doch schon etliche Male alles aufs Spiel gesetzt und sie wirklich auch zurecht verärgert hat. Sie war mal dran. Okay, mit einer tödlichen Kugel hätte es jetzt nicht sein müssen, aber es ist alles okay für mich. Dass sie schuldbewusst an der Wand lehnt, ist wohl so ein Frauending. Aber von ihrem Ärger auf ihn ist ja ohnehin irgendwie nur noch subtil was zu spüren. Sie ist ja permanent davon angepisst, dass er irgendwelche Alleingänge treibt. Und nach dem Ende von “Inferno” hätte ich doch jetzt spätestens mal eine Aussprache erwartet. Hier wird wieder wie zuvor NICHTS verbalisiert. Wir gucken schnell nach Rostock. Ja, die sind auch sowas von kaputt, die beiden, aber sie schaffen es deutlich schneller, miteinander zu sprechen. Und ich würde aber doch schätzen, dass die Vertrauensbasis bei beiden Kommissars-Paaren ähnlich stark ist. In Rostock doch eher sogar noch auf dünnerem Eis, weil vor allem König zweimal hintereinander Scheiße gebaut hat, die er dann ausgelöffelt hat. Freiwillig, weil er sie liebt, klar. Aber trotzdem geht da was kaputt, was er ihr ja auch deutlich mitteilt. In Dortmund wird hingegen einfach gar nicht gesprochen und zur Tagesordnung übergegangen.
Übrigens auch bei Nora Dalay. In “Inferno” reden wir noch über PTBS, Therapie, Behandlung, Hilfe suchen nach der Bombe aus “Sturm”. Bönisch war ja deutlich. Und siehe da, in “Monster” ist sie ohne ein weiteres Wort nicht nur geheilt, sondern sogar in der Lage, dem Kollegen Pawlak ein bisschen Halt und Hilfe zu geben. Das ist mir zu einfach gestrickt. Dann macht das, aber nennt es bitte nicht “horizontal”. Dass Pawlak auch nicht anders als Kossik ebenfalls problembeladen ist, ist mir übrigens eine Nummer zu viel. Es deutete sich ja in den letzten Filmen schon an, kam aber nie zur Sprache. Dass Graf Pawlaks Tochter entführt, sehe ich noch unkritisch. Ihm ging es ja immer darum, Faber am Kragen zu packen, persönlich. Aber dass man Pawlaks Frau auch noch als Junkie zeichnet, ist einfach zu viel. Viel zu viel. Man kann nur hoffen, dass Rosa Herzog ein kleines rosafarbenes Sonnenscheinchen mit großer Klappe ist. Es würde dem kaputten Dortmunder Trio helfen, mal wieder in die Spur zu finden. Sofern sie auch ihre Sprache wiederfinden, übrigens.
Ganz starke Szene übrigens relativ am Ende, als Faber und Bönisch ihr altes Täter-Opfer-Spiel spielen. Hier spielt auch der Regisseur: mit Licht, mit Schatten, mit Worten. Wenn man es schafft, die wirklich ekelhafte Pädophilen-Ebene zumindest kurz webzublenden, bleibt ganz ganz viel auf der Meta-Ebene hängen, nicht nur in den Worten, sondern auch in Martinas Gesicht, viel mehr als bei Faber. Das ist großartig gespielt, grandios getextet und sehr sehenswert gefilmt. So macht Dortmund Spaß.
Fazit: Endlich ist die Graf-Handlung beendet, endlich muss ich Graf nicht mehr sehen und nicht mehr hören. Jetzt, nach dem zweiten Mal Gucken, ertrage ich ihn in “Monster” deutlich besser als in den Filmen davor. Aber nachdem man diese Handlung nun wirklich sechs, sieben Jahre erzählt hat, reicht es dann auch. Ich hätte gerne mal was Neues, und vielleicht können wir uns zur Abwechslung mal auf Bönisch konzentrieren oder so. “Monster” ist einer der besseren, späteren Werner-Filme, das lasse ich mal so stehen.
Ich würde so gerne schon eine Rangliste erstellen, aber ich kann nicht. Die ersten Plätze sind leicht, vielleicht reichen also 1 bis 5? Ich finde, dass die Filme teilweise entweder ziemlich gleich gut oder schlecht waren. “Hundstage” landet ganz oben, direkt gefolgt von “Sturm”, das sind meine klaren Favoriten, und das waren sie auch schon damals. Man spürt einfach gleich, ob das heute was wird oder nicht. Vielleicht liegt auf Platz drei “Zahltag”, weil es so schön zuspitzt. Und dann folgen eigentlich einige, die ich alle gleich gut finde: Hydra, Kollaps, Schwerelos. Die teilen sich je nach Tagesform die Plätze vier bis sechs. Und alles, was danach kommt, ist für mich irgendwie Brei der gleichen Farbe. Für das untere Ende der Liste kann ich lediglich sicher “Inferno” und “Mein Revier” benennen, obwohl “Inferno” mich einfach so mit dieser Tüten-Szene geflasht hat und “Mein Revier” nicht eine starke Szene hat.
Meine Dortmund-Kurve sieht dann vielleicht am Ende so aus: ___–******–__-__–
Und unterm Strich steht: Gebt mir mehr. Aber bitte wieder etwas stringenter. Rostock hat euch leider in den vergangenen zwei bis drei Jahren den Rang abgelaufen. Lasst eure Charaktere doch davongaloppieren, wen interessiert’s, die haben das zwischendurch auch prima ohne euch hinbekommen. Aber seid ihr wieder mit Tusche und Feder dran seid, wird es zu überzeichnet, zu gewollt. Schaut, wo sie waren, bevor alles den Bach runterging, und überlegt, wie man von da sinnhaft weitergehen könnte. Wäre so mein Tipp als Laie. Danke fürs Lesen!